Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Titel: Das Geheimnis der Eulerschen Formel
Autoren: Yoko Ogawa
Vom Netzwerk:
ganz nah an die Wand heran und zeichnete das Datum, das ich eingekreist hatte, mit dem Finger nach. Der Zettel hing nach wie vor an seinem Revers. Auf seine eigene Weise bemühte er sich, Roots Geburtstagsfeier auf keinen Fall zu vergessen. Dass wir auch seinen ersten Preis feiern wollten, war ihm längst entfallen.
    Die Sache mit der Keksdose kam nie heraus. Ich erinnere mich noch, wie ich gebannt auf die Widmung geschaut hatte:
Für N in ewiger Liebe
… Es war zweifellos die Handschrift des Professors. Der Begriff »ewig« hatte für den Professor keine gewöhnliche Bedeutung, sondern stand für etwas Erhabenes, so wie für ein mathematisches Theorem, das ewig galt.
    Es war Root gewesen, der mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hatte. Er hatte mir das Manuskript aus der Hand genommen und wieder zurück auf den Boden der Keksdose gelegt, wobei er darauf achtete, dass alles so war wie vorher.
    Kurz darauf waren auch alle Karten wieder fein säuberlich in Reih und Glied sortiert. Niemand hätte mehr sagen können, dass wir sie angerührt hatten. Und doch war etwas anders. Nur eine einzige Sache hatte sich geändert. Nun, da ich von der versteckten Abhandlung und der Widmung wusste, war es nicht mehr bloß eine Blechdose, die Baseballkarten enthielt, sondern eine Urne für die Erinnerungen des Professors. Behutsam stellte ich sie zurück in das Bücherregal.
    Ich hatte mir eigentlich kaum Hoffnungen gemacht, war aber doch enttäuscht, dass der Händler nicht zurückrief. Root bemühte sich bis zuletzt, er schickte eine Suchmeldung an die Zeitschrift und hörte sich in Sammlerkreisen um. Für den Fall, dass wir die Karte nicht mehr rechtzeitig bekommen würden, suchte ich nach einer Alternative, weil ich nicht mit leeren Händen dastehen wollte. Ich wusste aber nicht, was sich für den Professor am besten eignete: Bleistifte, ein Schreibheft, Karteikarten, ein neues Hemd …? Es gab in der Tat nur wenig Dinge, die er gebrauchen konnte. Die Tatsache, dass ich Root nicht um Rat fragen konnte, erschwerte die Angelegenheit noch.
    Dann fiel mir ein, dass er eigentlich ein Paar neue Schuhe nötig hatte. Schuhe, die nicht so vergammelt waren wie seine alten.
    Ich kaufte ein Paar und versteckte es hinten im Schrank, so wie früher die Geschenke für Root, als er noch klein war. Sollten wir doch noch rechtzeitig eine Karte bekommen, würde ich die Schuhe einfach unbemerkt in das Schuhregal des Professors stellen.
    Schließlich gab es dann doch einen Hoffnungsschimmer. Als ich mir in der Akebono-Agentur mein Honorar abholte, unterhielt ich mich mit den anderen Haushälterinnen. Eine von ihnen erinnerte sich daran, dass ihre Mutter, die lange Jahre eine Gemischtwarenhandlung führte, noch irgendwo einige von diesen Karten übrighaben könnte.
    Da uns der Chef zuhörte, klagte ich, wie schwierig es doch sei, bestimmte Baseballkarten für meinen Sohn aufzutreiben. Unsere geplante Feier erwähnte ich natürlich nicht.
    Ich war hellhörig geworden, als meine Kollegin erzählte, ihre Mutter habe den Laden 1985 aufgegeben. Kurz davor hatte sie für eine Seniorenreise Schokolade bestellt und die Sammelkarten von der Verpackung entfernt. Sie nahm an, die alten Leute hätten dafür keine Verwendung, und wollte die Päckchen mit den Karten einer Kindergruppe spenden. Dazu kam es nicht mehr, denn die alte Dame musste aus gesundheitlichen Gründen ihr Geschäft schließen. So kam es, dass annähernd hundert Baseballkarten jahrelang bei ihr zu Hause herumlagen.
    Wir gingen direkt von der Agentur zu meiner Kollegin, und ich kehrte mit einem schweren, verstaubten Pappkarton heim. Ich wollte sie für die Karten bezahlen, aber sie lehnte dies strikt ab. So nahm ich den Karton dankbar entgegen, wobei ich mich nicht traute, ihr zu verraten, dass ich dafür sehr viel Geld bekommen würde, wenn ich sie an einen Händler verkaufen würde.
    Sobald ich zu Hause eintraf, machten Root und ich uns ans Werk. Ich schnitt die schwarzen Tütchen auf, und er zog die einzelnen Karten heraus, um sie zu prüfen. Wir hatten schnell den richtigen Dreh raus, sodass wir schnell vorankamen. Binnen kurzer Zeit hatten wir alle erdenklichen Baseballkarten in der Hand. Root konnte schon nach kurzer Zeit allein vom Anfassen sagen, um welche Art von Karte es sich handelte.
    Oshita, Hiramatsu, Nakanishi, Kinugasa, Boomer, Oishi, Kakefu, Harimoto, Nagaike, Horiuchi, Arito, Bass, Akiyama, Kadota, Inao, Kobayashi, Fukumoto … Die Spieler tauchten einer nach dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher