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Das Geheimnis am goldenen Fluß

Titel: Das Geheimnis am goldenen Fluß
Autoren: Canter Mark
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heranstürmten.

55
    Yu Lin zückte ihr Schwert und kam langsam auf K’un-Chien zu, lässig beinahe. Sie hob eine Hand, die in einem schweren ledernen Falkner-Handschuh steckte. Hinter ihr blieb ihr Trupp stehen.
    Yu Lin lachte grimmig. »Der Meisterschütze hat weder Pfeil noch Bogen? Ist es das, was aus einem Drachentiger ohne Flügel und Fänge wird? Bist du jetzt ein bloßer Sterblicher, Hermaphrodit?«
    »Ich bin genau, was ich bin«, antwortete K’un-Chien. »Dies ändern weder deine noch meine Worte.«
    »Ah so, ein Philosoph. Philosophen haben den Ruf, gut im Sterben zu sein.«
    »Ich möchte nicht sterben, General Yu. Obwohl es eine Zeit gab, wo ich den Tod freudig willkommen geheißen hätte. Denn genau wie Ihr mich verachtet, habe ich mich selbst verachtet. Doch ich habe gelebt und geliebt, und ich habe gelernt.«
    »Warum erfreust du uns dann nicht, bevor ich dich erschlage, Monster Hsiang, mit einem schönen Todesgedicht oder vielleicht einem Juwel aus deinen Lehren?«
    »Meinetwegen«, sagte K’un-Chien. »Ich habe Sun Tzus ›Kunst des Krieges‹ und die ›Sechsunddreißig Kriegsfinten‹ studiert. Meister Sun empfiehlt, den Feind zu beobachten, auf den Augenblick höchster Verwundbarkeit zu warten, dann überraschend anzugreifen.«
    Yu Lin schnaubte verächtlich. »Das weiß doch jeder.«
    »Und wisst Ihr, welche der Kriegsfinten als die klügste gilt?«
    »Sag es mir, Gelehrter.«
    »Die letzte, Nummer sechsunddreißig.«
    »Und die lautet?«
    »Renne schneller als dein Feind.« K’un-Chien wirbelte herum und rannte, so schnell ihre Beine sie trugen, auf eine Anhöhe aus mehreren riesigen, ineinander verkeilten Felsen zu.
    Yu Lin rannte ihr nach. Ihre Soldatinnen teilten sich und schwärmten in zwei Richtungen aus, um K’un-Chien von den Seiten anzugreifen.
    K’un-Chien kletterte auf die steile Anhöhe und ließ sich jenseits des Gipfels in einen Spalt fallen, wo sie geduckt wartete und Yu Lins näher kommenden Schritten lauschte.
    Kurz bevor Yu Lin in Sicht kam, packte K’un-Chien einen kartoffelgroßen Felsbrocken und sprang aus ihrem Versteck. Direkt unter ihr stieg Yu Lin die Anhöhe hoch.
    Yu Lin sah K’un-Chien. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung; sie hatte Schwierigkeiten, sich mit einer Hand an dem steilen, scharfkantigen Felsen festzuhalten und mit der anderen ihr Schwert zu zücken. Das war ihr Augenblick höchster Verwundbarkeit.
    K’un-Chien winkelte den Arm und warf den Felsbrocken aus kurzer Distanz. Er krachte an Yu Lins Brust und stieß sie zurück. Sie schleuderte das Schwert in die Luft, als sie armerudernd versuchte, das Gleichgewicht zu halten. Das Schwert fiel klirrend die felsige Anhöhe hinunter, gefolgt vom mehrmaligen dumpfen Aufschlagen des Generals. Am Fuße der Felshalde blieb Yu Lin in ihrer schwarzen Lederrüstung liegen, ihr Hals in unmöglichem Winkel verdreht.
    Hinter sich hörte K’un-Chien eine Armee von Schritten durch den Kies stapfen. Sie holte tief Luft und drehte sich langsam um, resigniert ihren sicheren Tod erwartend.
    Meng Po führte einen Trupp aus mehreren Dutzend Drachenfrauen an; er kam die wesentlich flachere Rückseite der Felshalde hoch, einen Bogen in den Händen haltend.
    »Sieg, K’un-Chien!«, rief er. »Wir haben gewonnen. Yu Lins Truppen sind geschlagen.«
    K’un-Chien stieg die Felsen hinunter und traf und umarmte auf halbem Wege ihren Bruder, den Kaiser.
    »Sieh, dort oben«, sagte er und deutete zum Himmel. »Unsere Freunde fliegen!«
    K’un-Chien schaute hoch und sah Tree und Mason, die in ihrem Nylonnetz dahinschwebten wie in einer hundert Meter über dem Boden schaukelnden Hängematte.
    Alle vier winkten. Keiner rief etwas.
    Der Ballon gewann an Höhe und geriet in eine Luftströmung, die ihn schnell nach Norden trug, über den Rand von K’un-Chiens Welt hinaus.

56
    Tree lag in Masons Armen, als das Tepui wie ein verrostetes Schiff in einer weißen See entschwand. Tree weinte leise an seiner Schulter. Der Ballon segelte dahin wie ein Rettungsboot inmitten einer Flotte von Sommerwolken.
    Mason starrte in Richtung des Bergs, in dem sich Jou P’u T’uan und sein Volk verbarg, die Rasse, die die Indianer El Dorado – Die Goldenen – nannten. Für den spanischen Entdecker Orellana waren sie Amazonen. Für Professor Summerwood waren sie Utopisten der Ming-Dynastie, die die Neue Welt vor den Europäern kolonisiert hatten. Für Mason waren sie Meng Po und Kiki, Hsiao Pi und die Kaiserin. Und Die Goldene selbst war
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