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Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe

Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe

Titel: Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe
Autoren: Christian Sidjani
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eine Tat umzusetzen habe – als Narr fühle ich mich nicht, nur leicht überrumpelt. Ich gebe dem Impuls, meine sitzende Position zu verändern, nicht nach und nutze die wenigen Sekunden, bis er mich ansprechen wird, für nähere Betrachtungen.
    Dougan Hall trägt nach wie vor seinen schwarz-seidenen Anzug, dem ungewöhnlich für einen Illusionisten der Schlips fehlt. Galant bleiben die oberen zwei Knöpfe des weißen Hemdes geöffnet und verleihen ihrem Träger den Eindruck, sich soeben von einer Dinner-Party ins Private zurück gezogen zu haben. Er trägt das dunkle Haar kurz; die Figur schmal doch nicht schmächtig, vermutlich gut trainiert; das Gesicht glatt und glänzend; seine blauen Augen die eisigen Verräter seiner Intentionen. Als er sich nähert, mich flüchtig begrüßt und zu den Speisen langt, um sich einen Apfel zu greifen, rieche ich seine Essenz, so erscheint es mir, Minze und Rauch – das eine um das andere zu verbergen, was ihm nicht gelingt, ein Spiegel seines Wesens.
    Ich schaudere, als er mir eine Hand auf die Schulter legt, dem Vertraulichen unter Freunden ähnlich, und mir feste in die Augen starrt, während er seine ersten, wohl artikulierten Worte an mich richtet. Seine Stimme ist wie das Rauschen des Meeres, beruhigend, und lässt jede Gemeinheit oder Hinterhältigkeit vermissen. Er scheint ehrlich um meine Meinung bemüht, als er wissen möchte, wie mir sein Auftritt denn gefallen habe, und ich antworte ebenso ehrlich, beeindruckt zu sein – seine Vorhersagungen und die Hypnosen seien von vortrefflicher Art, ohne der Möglichkeit zu erahnen, wie dies überhaupt geschehen könne – übersinnlich begabt müsse er sein, anders ist es kaum zu erklären. Daraufhin erfüllt ein fröhliches Lachen den Raum um mich, der doch zuvor so still war und meinen Gedanken Zeit gab, sich zu entwickeln. Nun bleibe ich augenblicklich auf der Hut und lasse ihn im Glauben, sein süßes Gift wirkte schon.
    „Einen guten Mentalisten zeichnet aus“, sagt er, „dass jeder von ihm annimmt, er besitze tatsächlich magische Kräfte, obwohl er zuvor darauf hinwies, eben diese nicht zu haben und stattdessen jeden Effekt allein aufgrund seiner ach so menschlichen Fähigkeiten erzielt.“
    Dougan Hall dankt mir gar, dass ich ihn heute treffe, ist er doch stets an neuesten, wissenschaftlichen Erkenntnissen interessiert, kann er mit ihnen womöglich seine Tricks verfeinern, neue entwickeln oder sich einfach inspirieren lassen für Geschichten, die zu erzählen ein wichtiger Bestandteil seiner Show ist. So stellt er mir gleich eine nächste Frage, bevor ich überhaupt ansetzen kann. Das spontane Reagieren ist, wie mir scheint, zwar diffiziler doch umso wirkungsvoller als eine zurecht gelegte Strategie. Er fragt mich nun nach meiner Profession – nein, nein, nach der Spezialisierung meiner Profession, denn jeder Wissenschaftler sei doch heutzutage auf wenige bis einen Bereich fest gelegt, um es zur Expertenschaft zu bringen.
    „So ist es wohl“, sage ich, „mein Metier ist die Devianz und auch dort, zur weiteren Unterscheidung, ist es nur ein kleiner Bereich, dem ich mich seit Jahren widme.“
    Einem Kinde gleich klatscht Dougan Hall mit seinen Händen, sagt, er habe es gewusst und dieser sei gewiss der Grund, der mich heute zu ihm treibe. Mit Erschrecken stelle ich fest, dass er nun sitzt. Dies trifft mich nur so tief, weil ich nicht erinnere, wann er sich denn setzte, geschweige denn einen zweiten Stuhl in diesem Raum bemerkt zu haben – doch dies ist nicht alles: in seiner Haltung imitiert er meine eigene; das linke Bein über das rechte gewinkelt; den rechten Ellenbogen auf die Armlehne gestützt, die linke Hand ruht auf dem Oberschenkel. Mich erschreckt, dass er Rapport erzwingt als wäre ich sein Proband. In Imitation versucht so einer nämlich, zu einer gleich sehr intimen Atmosphäre zu gelangen, in der das Opfer – ja, so nenne ich mich grad – sich wohl und verstanden fühlt, damit aber lediglich gefügig gemacht wird. Als ich meinen Schock überwinde, ihm mag er sehrwohl aufgefallen sein, spreche ich den Rapport an, nicht pikiert, aus Amüsiertheit, wie ich spiele.
    „Verzeihen Sie“, sagt er, „eine Berufskrankheit.“ Und verändert Haltung an Armen und Beinen. Ein erster, kleiner Sieg, denke ich. Es obliegt meinen nächsten Worten, die gezielt zu treffen mein Wunsch ist, auf jenes Thema zu kommen, das mich zu ihm führte, und dabei zu wirken, als sei ich um seinen Rat bemüht. Er fragte mich
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