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Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe

Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe

Titel: Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe
Autoren: Christian Sidjani
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Gift für Ohr und Hirn.
    Ich mag diesen Mentalisten also nicht und das hat einen verständlichen Grund: er ist ein Mörder. Auch wenn er nicht selbst Hand anlegte, so plante er doch vorsetzlich und skrupellos das Dahinscheiden von mehr als einem Dutzend unschuldiger Personen. Ich brauchte Jahre, um sein System zu durchschauen, ihm zunächst auf die Spur zu kommen – jetzt bin ich sicher und heute will ich ihn mit dem Ergebnis meiner Recherchen konfrontieren.
    Ich stieß mehr zufällig als willentlich auf Dougan Halls ungeheuerliche Taten. Es mag schon zehn Jahre her sein, als mir die erste Anomalie in den charakterlichen Dispositionen einer jener traurigen Gestalten unterkam, die Selbstmörder genannt werden. Doch ich tat diese Erscheinung als die berühmte Ausnahme von der Regal ab. Er blieb nurmehr ein Faszinosum, der sich ohne jeglichen äußeren oder inneren Druck von all den anderen untersuchten Fällen unterschied – für eine kurze Zeit befürchtete ich gar, auf einen neuen Typus von Selbstmördern gestoßen zu sein, was ich Monate später in einem weiteren Fall zunächst bestätigt sah. Mit den Jahren häuften sich diese Anomalien und bald füllte ich eine Akte über jene, bis dahin neun Menschen, die ohne ersichtlichem Grund zu Tode stürzten – so viel hatten sie nämlich gemeinsam, nicht nur eine Abgrenzung von den typisierten Freitoden, sondern auch die Wahl der Methode: der Sprung von einem hohen Haus. Ein Kollege mit einer ähnlichen, soziologischen Profession wie die meine riet mir, diese Fälle genauer zu untersuchen, und so brach ich zu einer Reise quer durch Deutschland auf, von der ich einer weiteren Gemeinsamkeit habhaft werden konnte, die in den Worten einer Hinterbliebenen wieder gegeben kann, weil sie treffend zusammen fassen, was ich allerorts erfuhr:
    „Ich verstehe es bis heute nicht. Noch am Abend, bevor er sich das Leben nahm, war er in einer Show dieses Mentalisten Dougan Hall gewesen, so begeistert und lebensfroh, dass ich nie auf den Gedanken gekommen wäre, etwas stimmte nicht. Seine gute Laune steckte an und er plauderte vergnügt darüber, was er in den nächsten Monaten alles vorhätte.“
    Es sollten drei weitere Jahre vergehen, bis ich mir sicher wurde, dass Dougan Hall mit den Selbstmorden direkt zu tun hatte – in der Zeit geschahen vier weitere, die in ihrer Anomalie aber auch im Abend vor der Tat den anderen geradezu glichen. Heute also bin ich gewiss, jeder dieser Selbstmörder besuchte Dougan Halls Show und sobald ich über Hypnose, Responsivität und Mesmers Lehren Kenntnis hatte, blieb eine einfache Gleichung zu lösen. Da ich aber in des Gesetzes Augen über nicht mehr als Mutmaßungen verfüge, bleibt mir nur, ein Geständnis zu erzwingen.
    Um dieses Unterfangen den Toten würdig umzusetzen, bedarf es mehr als auf einen weiteren Auftritt des Mentalisten Dougan Hall zu warten und ihn um eine Privataudienz zu bitten. Denn als Wissenschaftler, ebenfalls von keinem geringfügigen Ruf, war es mir ein Leichtes, ein Treffen zu arrangieren – Dougan Hall mag gar Kenntnis haben, wer ich bin – was ich dafür am dringendsten benötige, ist eine Strategie, ein kommunikatives Set der Verteidigung, denn mein Gegenüber entspringt nach allem, was ich nun weiß, einem dämonischen Verlangen nach allumfassender Kontrolle jedweder Situation, die er ums Verderb nicht aufgeben wird. So eignete ich mir in den letzten Monaten selbst die Methoden jener Schule an, die auf Suggestion basiert.
    Ich möchte ihn jedoch nicht mit den eigenen Waffen schlagen – nein, dieser Weg wäre gefährlich und plump – ich möchte vielmehr mein Wissen verbergen, um ihn in Sicherheit zu wiegen. Denn es heißt, der fähige Falke versteckt seine Krallen so lange, bis ihm der Zeitpunkt richtig erscheint. Dies nun kann ich gleich testen, denn seine Show ist soeben vorbei und ich warte seit fünfzehn Minuten in einem kleinen Raum hinter der Bühne, in dem Früchte und andere Speisen sowie Getränke aufgebahrt sind. Ich fühle mich entspannt, werde ich ihm stets den entscheidenden Schritt voraus sein, ist er doch unwissend über mein eigentliches Anliegen. Kurz nur bin ich versucht, mir von den Speisen zu nehmen, aber nein, es käme dem Entweihen der Toten gleich, sollte ich etwas von dieser Person annehmen oder was für ihn bestimmt ist selbst nutzen.
    Die Tür geht auf und mein Abend teilt sich in ein Davor und ein Danach. Mit Dougan Halls plötzlichem Erscheinen wird mir bewusst, dass ich mein Vorhaben in
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