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Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe

Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe

Titel: Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe
Autoren: Christian Sidjani
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Kofferraum, als er die Tür aufschloss und im Begriff war einzusteigen. Einige kurze Bewegungen von ihm, das rechte Bein hinein, da schnellte ich hervor und jagte ihm die Nadel ins Gesäß, drückte zweihundert Milligramm in seine Blutlaufbahn. Augenblicklich fiel er leblos hinein, blieb ungelenk liegen, mit dem Kopf auf dem Beifahrersitz. Ich schob sein linkes Bein nach, entwendete seiner rechten Hand die Wagenschlüssel und schloss die Tür. Dann wartete ich.
    Eine Sekunde, zwei Sekunden, eine halbe Minute verstrich.
    Die Überwältigung dauerte nur kurz, aber möglich war, das sich dadurch in dieser Straße etwas geändert hatte. Ich ging zurück zu meinem Wagen und lauschte. Stille. Keine Schritte, keine Stimmen, nur das entfernte Dröhnen einer Bahn. Alles wie zuvor. Ich holte meine Tasche, schloss ab und ging zurück zu Valentin. Ich war berauscht von meiner rationalen Vorgehensweise. Alles war mir möglich. Ich weiß, dass es so war, sonst wäre ich heute nicht hier.
    Valentins Körper war so gefallen, dass man ihn von außen nicht wahrnahm. Für andere nur ein weiteres, leeres Vehikel in einer Seitenstraße. Ich lud die Tasche in den Kofferraum, schob Valentin hinüber und nahm auf dem Fahrersitz Platz. Dann fuhr ich los. Von Valentin konnte man meinen, er schliefe nur. Ich hatte seinen Kopf zur Seite gelehnt, zwischen Fenster und Lehne. Auf der Autobahn waren wir wie zwei Freunde, gemeinsam auf einer Reise. Ich fühlte mich so sicher, dass ich an einer Tankstelle hielt, um zu tanken und Essen zu kaufen, und ihn alleine im Wagen ließ. Valentin schlief noch, als ich ihn an unserem Ziel aus dem Sitz hob. So leicht war er, wie ich geplant hatte. Erst zu meinen Vorbereitungen erwachte er wieder und ich betäubte ihn noch einmal. Es war schon später Abend, als er ein zweites Mal auf dem Esstisch erwachte. Ich hatte ihn an die Platte geschnürt, mit Klebeband Hände und Füße fixiert, ihm einen Knebel in den Mund gesteckt.
    Was ich ihm alles antat, und wie lange; wie er litt und was er wimmerte; wie er blutete und versuchte sich vergeblich zu befreien; welche Körperteile er verlor und wie er dann aussah; wie sein Fleisch schmeckte; und wie ich aussah, als ich mit ihm fertig war; und vor allem, was ich fühlte. Welchem Wechselbad ich dort unterworfen war, jede Sekunde der dreiunddreißig Stunden, die Valentins Martyrium dauerte. All das könnt ihr in meinem Roman ,Agonie des Täters' nachlesen. Ich löste mich auf und setzte mich neu zusammen. Ich ging als einer und kehrte als ein anderer zurück. Valentin wurde in mir geboren, als ich ihn tötete. Jetzt wird er für immer leben, in meinem Roman und euren Köpfen, und den Köpfen der nachfolgenden Generationen.
    Sind euch die Rezensionen bekannt? Von was für einem Meisterwerk gesprochen wird? Von welch gesellschaftlicher Relevanz, und Brisanz? Wie sie mich loben? Ach, ihr kennt das? Dann bleibt mir noch, das Finale zu berichten.
    Es gibt keine Beweise. Kein Mensch könnte berichten, dass ich Valentin je getroffen habe. Sein Wagen wurde vor seiner Wohnung gefunden. Ich hatte ihn gründlich gereinigt und seine Wagenschlüssel in eine der vielen Mülltonnen in meiner Stadt entsorgt. Dasselbe tat ich mit seinem Körper. Die Säge war scharf und robust genug, dass er nach, zugegeben stundenlanger, Arbeit in handliche Stücke geschnitten war. Ich verschnürte sie in dreiundzwanzig Müllsäcke, einen vierundzwanzigsten Sack brauchte ich für seine Gedärme. Ihr glaubt nicht, wie widerspenstig sie sind für unsere Hände. Wieder und wieder entglitten sie mir beim Einpacken.
    Bis zum Morgengrauen fuhr ich in meiner Stadt von Mülltonne zu Mülltonne und verteilte Valentin über einen Dutzend Bezirke. Wie gut ich arbeitete, bemerke ich daran, dass nicht ein Leichenteil gefunden wurde. Nie gab es darüber einen Bericht. Denn die Zeitungen hätten sich wollüstig auf solch einen Fund gestürzt. Zeugte er doch von einem sehr interessanten, abweichenden Verhalten, nicht wahr?
    Meine Materialien entsorgte ich auf dieselbe Weise. Nur das Messer, das in Valentins Fleisch gedrungen war, um sein Lebenslicht zu erlöschen, das wusch ich gründlich und benutze es noch heute in meiner Küche. Nennt es ein Andenken, wenn ihr wollt.
    Mein Notizheft verbrannte ich, als ich die erste Fassung meines Buches geschrieben hatte. Ich konnte mich nicht der Wonne erwehren, mit der ich Satz um Satz verfasste. Ich berichtete von einem perfekten Mord und bannte zugleich meinen Dämon
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