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Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe

Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe

Titel: Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe
Autoren: Christian Sidjani
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ließ mich treiben von den mir dargebotenen, lebenden Waren.
    Ich hatte Zeit. Zwei Wochen, so dachte ich, durften genügen, und so lange hatte ich mir Urlaub genommen. Am dritten Tag war ich geübt im Verfolgen. Wie ich unauffällig wie ein Kunde hinter jemandem her schleichen konnte, und ich entschied, dass es an der Zeit war, ein konkretes Opfer auszusuchen. Dafür setzte ich mich in ein Café. Dutzende gab es dort. So wahllos, wie ich verfolgt hatte, suchte ich mir einen Platz. Ich beobachtete, während ich lesend tat.
    Eine Gruppe von fünf Männern trat ein. Jeder von ihnen in einen Anzug gekleidet. Unter ihnen auch der, den ich Valentin taufte. Valentin, mein ungezähmter Valentin. Er brauchte doch einen Namen. So nah wie wir uns bald sein würden. Und ich interessierte mich nicht, wie er wirklich hieß. Schlaksige Figur; in etwa Mitte zwanzig; nussbraune, kurze Haare; ein schmales, rasiertes Gesicht; matt glänzende, verträumte Augen, die bestimmt ein Weib in ihren Bann zu ziehen vermochten. Augenblicklich hieß er Valentin. Als war dieser Name für diesen Jüngling erdacht worden, und nur für ihn. So gern ich mich festgelegt hätte, musste Valentin noch ein entscheidendes Kriterium erfüllen. Einen Wagen seinen Besitz nennen.
    Um dies zu ergründen, folgte ich der Gruppe von Anzugträgern, als sie aufbrachen. Ich vermutete ihren Arbeitsplatz in der Nähe, in einem der vielen Büros, die in halbhohen Altbau-Häusern das Bild der Stadt säumten, stets vier bis fünf Stockwerke umfassend. Und wahrlich, ich brauchte ihnen nur wenige Minuten folgen, bis sie in einem dieser Häuser verschwanden, schwatzend und ahnungslos. Dem Haus gegenüber gleich drei Cafés, von denen ich das aussuchte, von dem ich alles im Blick hatte. Dort verbrachte ich den Nachmittag.
    Für die Menschen um mich war ich ein Mann mittleren Alters, der in Ruhe ein Buch las. Dabei stets den Eingang im Blick, bis am frühen Abend endlich mein Valentin erschien. Ich folgte ihm, die Hände in den Taschen, schlendernd, bis in eine Seitenstraße. Dort blieb er stehen, kurz nur pochte mein Herz schneller, weil ich annahm, er hatte mich bemerkt. Aber nein, er war an seinem Ziel. Seinem Wagen, den er heute Morgen dort geparkt hatte. Während er ohne jeden Verdacht einstieg und schließlich davon fuhr, merkte ich mir Marke, Modell, die Farbe und das Kennzeichen.
    Am folgenden Tag kam ich früher in die Stadt. Es war ein Leichtes, Valentins Parkplatz zu finden. Dieselbe Straße, ungefähr dreißig Meter von der gestrigen Stelle entfernt. Der Mensch liebt doch seine Gewohnheiten. Ich parkte nicht weit von ihm entfernt, sobald ein Platz frei geworden war. Fast auf die Minute kehrte Valentin am Abend zurück. Ich hatte den Tag abwechselnd in Cafés und meinem Wagen zugebracht, auf dass Valentins nicht plötzlich verschwand. Dieses Mal folgte ich ihm, so unauffällig wie zu Fuß, bis in die Straße, in der er wohnte. Ich wartete, in welches Haus er ging, und verschwand.
    Nach kurzem Schlaf beschloss ich, es gleich am frühen Morgen zu tun. Sollte irgendjemand in der Nähe sein, der dann schon unterwegs war, würde ich mein Unterfangen abbrechen. Das Verlangen in mir, endlich mit meiner Arbeit zu beginnen, endlich zu erfahren, wie es war, ein Leben zu nehmen, war so stark, dass ich keine Zeit mehr verschwenden wollte. Jeder von euch ist wohl mit diesem Biss der poetischen Vision vertraut. Außerdem nahte das Wochenende und somit konnten neue Faktoren hinzu kommen. Ein anderer Alltag, der den der Woche kurzzeitig unterbrechen würde. Es musste heute sein.
    In einer großen Reisetasche fand alles seinen Platz, damit ich sie sogleich in Valentins Wagen legen konnte, war erst alles vorbereitet für unsere kleine Reise. Sodann fuhr ich quer durch meine Stadt, hinein in seine Straße, parkte unweit von seinem Platz. Sollte ich durch andere bei meinem Vorhaben gestört werden, würde es mir spielerisch gelingen, die Kontrolle zu bewahren und mich dem weiteren Beschatten zu fügen. Ich war es und bin es noch, der den Dämon nach Belieben ein und aus zu schalten vermag. Doch das war nicht nötig. Inmitten der verschlafenen Straße, es dämmerte erst, trat Valentin als Einziger hinaus, weit und breit kein Mensch. Wenige Lichter nur durch Fenster, hinter denen noch weniger mit ihrer Morgentoilette und Frühstück beschäftigt waren.
    Die Spritze in der rechten Hand schlich ich geduckt um Wagen herum, so leise, dass er nichts vernahm. Ich wartete hinter seinem
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