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Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe

Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe

Titel: Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe
Autoren: Christian Sidjani
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Ich musste zugeben, dass ich zudem wenig von ihm wusste und in seinen Nachrichten wirkte der Zauber seiner Sätze nur, weil noch etwas anderes hinter ihnen lauerte – etwas, das in seiner Bitte um mein Erscheinen nun hervorgetreten war und mir unmöglich machte, nicht unverzüglich in diesen Bezirk zu reisen.
    Auch wenn ich mich fragte, wie ich jemanden wie Dennis Roder noch heute meinen Freund nennen konnte, traf mich die Nachricht vom Tode seiner Frau tief. So, dass ich glaubte, ihn erst gestern gesehen zu haben, was nicht unmöglich gewesen wäre, wohnten wir doch in derselben Stadt. Seine Trauer entflammte eine tiefe Verbundenheit zu ihm, die ich mir nun, bei Licht betrachtet, niemals zugetraut hätte, war Dennis doch für Jahre kein wesentlicher Bestandteil meines Lebens mehr gewesen. Ja, seine höchst unregelmäßigen Nachrichten an mich befremdeten viele Male mein Gemüt und häufiger, ich gebe es zu, war ich versucht gewesen, meinen Kontakt mit ihm abzubrechen. All das geriet jedoch in den Teich des Vergessens mit der Nachricht um den Tod seiner Frau. Es beschämte mich, nicht zu wissen, wie ihr Name war, und es verwunderte mich zugleich, dass ich aber um seine Hochzeit wusste, weil ich mich nicht erinnern konnte, wann er mir dies denn mitgeteilt hatte. Ich wusste nur, dass ich nichts von ihr wusste. Warum traf es mich so tief, während der Tod seiner Eltern, schon drei Jahre zurück liegend, mich kaum berührt hatte? – das Geheimnis lag allein in seinen Worten, die er wählte, um mich mit dieser oder jener traurigen Nachricht bekannt zu machen. Und in Dennis Roder klang die Liebe zu seiner Frau ungleich stärker als die zu seinen Eltern je geklungen hatte. In seiner letzten Nachricht sprach er über den Verlust so stark wie ein körperliches Leiden – mich interessierte, ob ich in seiner Handschrift mehr hätte deuten können, eine Zittrigkeit vielleicht, die das nervöse, körperliche Unbehagen unterstrichen hätte. So aber war ich wie jeder in unserer ach so modernen Welt den leblosen weil identischen Buchstaben auf einem Bildschirm ausgesetzt. Nahezu unwissend also über das, was mich erwarten sollte außer dem trauernden Ehemann, fand ich mich an jenem unwillkommenen Ort ein, der in seiner Ödnis sehr an das Gemüt meines Freundes erinnerte.
    Ich sagte, mein naives Unterfangen, nämlich zu der Baustelle mich wenden, diente einzig und allein, mich noch unwohler zu fühlen an einem Ort, den ich dereinst so lieb gewonnen hatte. Zweifellos trug das Wissen um die ebenso verwahrloste wie abgerissene Bushaltestelle zu meiner Empfindung bei, die ich nur als Aberglaube bezeichnen kann. Und dieser, so lässt sich vielerorts feststellen, ist der beste Nährboden der Angst, weil er sich nicht vernünftig begründen lässt. Dieses Schaudern, dies Kribbeln auf meiner Haut und das leichte Zittern in meinen Gebeinen mögen auch Ursache dafür gewesen sein, dass sich, als ich mich vom Zaun entfernte und weiter zum Warenhaus wanderte, eine gar seltsame Vorstellung meiner bemächtigte – eine geradezu lächerliche Vorstellung, in der die Schatten aus den oberen Stockwerken sich in die unteren Mauern gefressen hatten. Ja, es schien mir, die gläsernen Türen des Eingangs waren mit einem dunklen, schmierigen Film überzogen und der Unrat, der sich vor den bemalten Wänden aufdringlich verteilt hatte, war aus ebendiesen Schatten geboren worden. Meine Einbildungskraft war derart überreizt, dass ich glaubte, in ungleich kältere Gefilde zu gelangen, war ich aus der Hitze des Tages unter das Vordach des Warenhauses gedrungen. Ich wünschte mir eine Jacke, noch mehr, da ein leichter doch ergreifend kalter Hauch dort wehte. So schalt ich mich ein zweites Mal einen Narren, dem seine Fantasie gar unglaubliche Eindrücke vortäuschte, die jeder andere in Unkenntnis über die Nachrichten meines Jugendfreundes augenblicklich vergessen hätte. So erklärte ich es mir und trotzdem es mich fröstelte wanderte ich weiter an der Fassade entlang zum Ort, an dem Dennis mich zu treffen gedachte.
    Was mir wie ein Traum erschienen war, diesen Ort als verwunschen zu erspüren, schüttelte ich von mir ab und zwang mich, die Wände, die Fenster, das Warenhaus im Allgemeinen so zu betrachten, wie sie wirklich waren. Verwahrlost wirkte es hier vor allem wegen des Gekritzels, das sich, von unzähligen Schmierfinken zu unterschiedlichen Zeiten verfasst, über die angegilbte Weiße der Wände ergoss – unleserlich, so kaum zu entziffern, und jene
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