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Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe

Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe

Titel: Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe
Autoren: Christian Sidjani
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nicht länger dem Schicksal ausweichen, das ihr seit Anbeginn zuteil geworden war. In der Nacht, bevor ich neben ihrem zu Tode erstarrten Körper erwachte, offenbarte sie mir endlich die doch so bedeutenden Worte der flüsternden Stimmen – Stimmen , denn es waren mehrere, die sprachen, sagte sie, Hunderte. Da verstand ich ihre Krankheit, leider viel zu spät, obwohl ich nichts gegen ihren Untergang hätte tun können, so wie meiner jetzt unausweichlich ist.“
    „Was sagten sie, die Stimmen?“
    In jenem unsäglichen Augenblick, da ich diese Worte sprach, wurde mir dieselbe Neugier bewusst, die meinen Freund dazu bewogen hatte, seine Frau zu fragen, was in ihrem nervösen Zustand einem Drängen ähnlich gewesen sein musste. So wendete Dennis den Blick von mir ab, als hätte er mich nicht gehört, und starrte auf den Tisch vor sich – es hatte sich ergeben, dass ich nun stets auf dem Sofa saß und er auf dem Stuhl an seinem Arbeitsplatz, während wir uns unterhielten oder gegenseitig vorlasen. Ich hatte mich seit meiner Ankunft bemüht, die Schwermut meines Freundes aufzulichten, und ich glaubte ja, dies war mir mit Jack London kurz geglückt. In diesem Moment aber, als meine Frage unheilsschwanger im Raume verklang, erkannte ich, wie aussichtslos es war, diese ihm inne wohnende Dunkelheit zu vertreiben, mehr noch, weil sie sich auf ihre Umgebung ergoss und ansteckte wie ein Virus, auch mich, der sich sogleich entschuldigte, gedrängt zu haben.
    „Entschuldige dich nicht, mein Freund“, sagte er, „dich trifft am allerwenigsten die Schuld an meinem Zustand. Ich war es ganz selbst, der mir dieses Leid zufügte. Und so verwundert es mich nicht, dass ihre Worte, die das Flüstern betrafen, meinem Gedächtnis entschwanden. Ich erinnere nur, dass es zu grausam war und ich sie endlich verstand. In Worten kann verletzt werden und die Wunden der Seele heilen langsam, während sie stärker bluten als die körperlichen. Ich wünschte, ich würde nun das Flüstern vernehmen, dass es aus diesem Gemäuer käme, aber es ist still um mich in jeder Nacht. So muss ich annehmen, und dies trifft mich am meisten, Linda erlag ihrem Wahnsinn.“
    Dies blieb das erste und einzige Mal, dass wir über Linda sprachen, denn bis zum bitteren Ende meines Aufenthalts wurde ihr Name weder von Dennis noch von mir erwähnt, und ihre Bilder verschwanden in einer Schublade, von der ich weiß, dass mein Freund sie ab und an öffnete, um allein mit den Erinnerungen zu sein, stets wenn er glaubte, ich sah oder hörte ihn nicht. Immer werde ich das mit mir herum tragen, was ich im alten Warenhaus erlebte – die vielen ernsten Stunden, das Schweigen bei der Arbeit an Texten, das nur scheinbar ziellose Umherirren meines Freundes in der großen Leere der ehemaligen Verkaufsfläche, wo er wieder und wieder im Kreise schritt, vor sich hin murmelnd doch im Geiste nur nach den richtigen Worten suchend.
    Es war am vierten Tage meines Aufenthalts – ein Mal war ich im Supermarkt, um anderes einzuholen als Wasser und Brot – als ich mir anmaßte, in seinen Notizheften zu blättern, nach einem Hinweis womöglich, der mir Aufschluss geben mochte über die Stimmen. Ich war der fixen Idee aufgesessen, es gab eine Verbindung zwischen dem Gemäuer, den Stimmen und Dennis Roder – dass alle drei Faktoren, ob dinglich oder nicht, durch schauerliche Koinzidenz fähig geworden waren, einem zarten Wesen allein durch Suggestion das Leben zu rauben. Es mag morbide Faszination gewesen sein, die mich anheim fiel, doch ganz gleich, ich wünschte mir beinah, auch meinem Freunde ähnlich, das Flüstern zu vernehmen. Meine ständige, nervöse Erregung, die mich bald auch Zeit vergessen ließ, wurde noch mehr genährt durch ein Gedicht, das ich in seinen Aufzeichnungen fand. Es war datiert auf einen Tag, der Monate vor dem Verscheiden Lindas lag. Die Worte mögen nun hier wieder gegeben werden, um die Empfindungen zu verdeutlichen, denen ich mich in der folgenden Nacht ausgesetzt sah. Mir war es nicht möglich, auch nur ein Blatt mitzunehmen, darum lautete das Gedicht, das im Übrigen den Titel „Gemäuer“ trug, im Ungefähren so:
     
    Böses greift nach meiner Seele Grund
    Und nimmt mir dich
    Wort um Wort genähert einem Schlund
    Da ein Teufel sich einschlich
     
    In meinem Herzen wirkt und werkte er
    Fleißig Stund' um Stund'
    An einem grauenhaften Gemäuer
    Für dich gar ungesund
     
    Es soll erst dann erneut hernieder fallen
    Wenn du triffst auf den Vasallen
    Der da
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