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Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe

Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe

Titel: Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe
Autoren: Christian Sidjani
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Wahnvorstellungen, die er bisher nicht offen zugegeben hatte, mussten auch mich beschlichen haben und im Dunkel zu der gar lächerlichen Feststellung geleitet, es handelte sich um einen Chor von Stimmen, die dort in ihren morbiden Rätseln sprach. Doch es war nurmehr Dennis Roder, allein seine Stimme, die gesprochen hatte und auch jetzt artikulierte er eine weitere Phrase, die von ihrer unmittelbaren Unheimlichkeit nichts verlor, obwohl alles so vernünftig erklärbar war. Da ich nun den phantastischen Alp, dem ich aufgesessen war, in seiner Nacktheit entlarvt hatte, musste der Schrecken doch weichen. Aber was, frage ich heute, wär' mir denn lieber: ein durch die Wissenschaft nicht erleuchtbares Phänomen oder der dem Wahnsinn anheim gefallene Jugendfreund?
    „Sonne schien einst, die Haut verbrannt“, flüsterte Dennis, „in der Sonne gewandert, vergessenen Schrittes.“ Er war nur kurz vor mir zum Halt gekommen, schritt schwankend an mir vorbei, hinein in unser Schlafgemach, das Flüstern zum Murmeln verkommend, bis es still ward um mich herum. Lange dann blieb ich dort im Dunkeln sitzen, fröstelnd und verstört, doch in meinem rationalen Geiste forschend, was zu tun sei, jetzt, da ich jenes Geheimnis dieser Mauern gelüftet und das Etwas hinter den Nachrichten meines Freundes kennengelernt hatte.
    Ich blieb, bis es mich nach einer Decke verlangte und ich durch Nichts zum Sofa zurückkehrte. Im Nichts waren weder Laute noch Licht, ganz so, wie mir war in jener Nacht im alten Warenhaus. Als ich im schwachen Licht des Tages, das alles um mich in grauen Tönen erhellte, erwachte, war Dennis schon fort, gab sich wohl seiner Routine hin, im monotonen Schritte nach gelungenen Formulierungen zu suchen. Mir war sein Flüstern wie ein Traum, doch wusste mein Verstand um seine Echtheit. Nie hatte mein Freund erwähnt, aus welch genauem Grunde er mich hergebeten hatte, doch ich vermochte nun eine Antwort darauf zu geben – es oblag mir, ihm zu helfen bei einer Genesung, die einzig und allein geistiger Natur sein konnte, denn jedes ihn erschöpfende, körperliche Leiden erwuchs aus einem psychischen Zusammenhang. Niemand mag mehr bestreiten, dass unsere Moderne im Griff solcher Erkrankungen war und ist, und Ärzte mit meiner Art der Profession den meisten Patienten mehr imstande sind zu helfen als welche, die nur Körperlichkeit studierten. Mit den wichtigen Fakten nun vertraut blieb mir zu diagnostizieren. Dennis Roder war beileibe nicht einem unabwendbaren Schicksal ausgeliefert – solch Arten der Schizophrenie waren mir ein manches Mal untergekommen und ja, bei Tage betrachtet verlor dieses Haus zunehmend seine Schrecken, wie alles daran verliert, das im Lichte der Rationalität erleuchtet wird. Meine nächsten Schritte überdenkend zog ich mich an und unterwarf mich der dort allmorgendlich rudimentären Toilette, während mein Gemüt das erste Mal ob der Erwartungen an eine Therapie an Leichtigkeit gewann. Ich wollte warten, bis mein Freund zurückkehrte, um sich an seine Arbeit zu setzen, ihn noch nicht und auf keinen Fall bei seinen Routinen stören, die er doch so sehr bedurfte, damit sein Geist nicht vollends zusammenbrach, was seit gestern leider nur allzu möglich schien.
    Da ich nur in der letzten Nacht keinen Schlaf gefunden hatte und davor sehrwohl Stunden im Schlummer verweilte, kam ich zu der Überzeugung, Dennis flüsterte ständig des nachts, während er in der Verkaufsfläche umherirrte, womöglich seit er hier eingezogen war – ein unheimlicher Schlafwandler, dem sich Linda einmal gewahr nicht mehr entziehen konnte. Ob sie erkrankte, weil sie um die Taten ihres Ehemannes wusste oder sie sich tatsächlich einer irrationalen Macht ausgeliefert wähnte, war für mein Vorhaben unerheblich. Ich nahm an, Dennis Roder mit seinem nächtlichen Ich konfrontieren zu müssen – einmal den Schrecken beim Namen genannt, sollte er an seiner Kraft verlieren. Dies war eine gängige Therapie für Angstpatienten, warum also sollte sie ihre Wirkung bei meinem Freund verfehlen?
    Wie ich vermutete, setzte er sich, von seinem Spaziergang recht bald zurückgekehrt, sogleich an seinen Arbeitsplatz, mich nur mit einem flüchtigen Gruß zum Morgen bedacht, und schrieb. Ich tat es ihm gleich und begann schon dort jene Geschichte, die zu dieser Schrift wurde, unter den Vorzeichen, dass es mir möglich schien, jenen kraftvoll dunklen Zauber dieses Ortes zu entlarven. Das stundenlange Schweigen zwischen uns nun gewöhnt wartete
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