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Der Ball spielende Hund

Der Ball spielende Hund

Titel: Der Ball spielende Hund
Autoren: Agatha Christie
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    Emily Arundell starb am 1. Mai. Obwohl sie nur ganz kurze Zeit krank gewesen war, erregte ihr Tod wenig Aufsehen in dem kleinen Landstädtchen Basing, wo sie seit ihrem sechzehnten Jahr gewohnt hatte. Denn Miss Emily Arundell, die letzte von fünf Geschwistern, war über siebzig geworden; man wusste seit Jahren, dass es um ihre Gesundheit nicht zum besten bestellt war, und einmal, vor achtzehn Monaten, wäre sie fast einem Anfall erlegen, ähnlich dem, an welchem sie dann starb.
    Ihr Tod überraschte daher niemanden, aber die Bestimmungen ihres Testaments weckten die verschiedensten Gefühle: Verwunderung, freudige Erregung, tiefste Missbilligung, Wut, Verzweiflung, Zorn und allgemeines Gerede. Wochen- und monatelang sprach ganz Basing von nichts anderem. Jedermann wusste etwas dazu zu bemerken, von Jones, dem Lebensmittelhändler, der meinte: «Blut ist dicker als Wasser», bis zu Mrs Lamphrey, der Postmeisterin, die bis zum Überdruss wiederholte: «Dahinter steckt etwas, verlassen Sie sich drauf! Sie werden noch an meine Worte denken.»
    Einen besonderen Anlass zu dem Gerede bildete der Umstand, dass das Testament erst am 21. April abgefasst worden war. Nahm man hinzu, dass Miss Arundells nächste Angehörige sie erst kurz vorher, über die Osterfeiertage, besucht hatten, dann konnte man verstehen, dass die haarsträubendsten Mutmaßungen auftauchten, die eine willkommene Abwechslung in den eintönigen Alltag des Landstädtchens brachten.
    Besonders kluge Leute behaupteten, eine bestimmte Person wisse mehr über die Sache, als sie zugeben wollte – Miss Wilhelmina Lawson, die Gesellschafterin der alten Dame. Miss Lawson erklärte jedoch, genauso im Dunkeln zu tappen wie jeder andere, und beteuerte, dass sie wie vom Donner gerührt gewesen sei, als das Testament verlesen worden war.
    Viele bezweifelten das. Ob nun Miss Lawson wirklich so uneingeweiht war, wie sie behauptete, oder nicht, es gab nur einen Menschen, der um den wahren Sachverhalt wusste – die Verstorbene selbst. Emily Arundell hatte auch hier nach ihrem eigenen Kopf gehandelt, wie sie es ihr ganzes Leben lang getan hatte. Nicht einmal ihrem Rechtsanwalt hatte sie sich anvertraut, sondern sich damit begnügt, ihm ihre Wünsche hinsichtlich des Testaments klarzumachen.
    Diese Zurückhaltung war ein Grundzug ihres Charakters. Sie war in jeder Hinsicht ein echtes Kind ihrer Zeit, deren Vorzüge und Fehler sie teilte. Sie war selbstherrlich und oft anmaßend, aber auch ungemein warmherzig; sie hatte eine scharfe Zunge, aber ihre Taten waren voll Güte; hinter ihrer äußerlichen Sentimentalität verbarg sich großer Scharfsinn. Sie wechselte ziemlich häufig ihre Gesellschafterinnen und behandelte sie schroff, aber nicht knickerig. Und sie besaß einen lebhaft entwickelten Familiensinn.
     
    Freitag vor Ostern stand Emily Arundell in der Halle von Littlegreen House und erteilte ihrer Gesellschafterin, Miss Lawson, verschiedene Weisungen.
    Miss Arundell war als Mädchen schön gewesen und auch jetzt noch eine gut aussehende, stattliche alte Dame von kerzengerader Haltung und lebhaftem Wesen. Die gelbliche Färbung ihrer Haut mahnte daran, dass sie nicht ungestraft schwere Speisen essen durfte.
    «Sagen Sie, Minnie», fragte sie die Gesellschafterin, «wo werden Sie denn alle unterbringen?»
    «Ich dachte – hoffentlich ist es Ihnen recht –, Doktor Tanios und Frau ins Eichenzimmer, Miss Theresa ins blaue, Mr Charles ins frühere Kinderzimmer – »
    «Geben Sie Theresa das alte Kinderzimmer, und Charles bekommt das blaue», ordnete Miss Arundell an.
    «Gewiss. Bitte – verzeihen Sie –, ich meinte nur, weil das Kinderzimmer unbequemer – »
    «Es genügt für Theresa.»
    Zu Miss Arundells Zeiten waren Frauen immer an zweiter Stelle gekommen und die Männer wichtiger gewesen.
    «Wie schade, dass die lieben Kleinen nicht kommen!», meinte die Gesellschafterin. Sie liebte Kinder, konnte aber gar nicht mit ihnen umgehen.
    «Vier Personen sind Besuch genug», antwortete Miss Arundell. «Bella verzieht ihre Kinder schrecklich; sie tun nie, was man ihnen sagt.»
    «Mrs Tanios ist eine sehr zärtliche Mutter», murmelte Minnie Lawson.
    Ernst pflichtete Miss Arundell bei. «Bella ist ein gutes Ding.»
    Die Gesellschafterin seufzte. «Es muss manchmal sehr schwer für sie sein, so im Ausland zu leben – noch dazu in Smyrna.»
    «Wie man sich bettet, so liegt man», versetzte Miss Arundell und fuhr dann fort: «Ich geh jetzt in die Stadt, um alles für
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