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Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe

Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe

Titel: Das flüsternde Haus: Eine Hommage an Edgar Allan Poe
Autoren: Christian Sidjani
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nach Profession, warum also sollte ich nicht gleich beginnen? Während er die Reste seines Apfels auf einen Teller legt, sich Wasser in ein Glas schenkt, hebe ich an:
    „Sehen Sie, mich führt heute ein besonderer Fall zu Ihnen, um deren Aufklärung ich bemüht bin. Sie mögen selbst von Koinzidenz und Kausalitäten Kenntnis besitzen und so bitte ich Sie, meine Hypothese, dem nötigen Ernst entsprechend, eingehend zu prüfen, ob ich nicht dem Holzwege folge. Ihre Fähigkeiten sind es, die mich annehmen lassen, dass Sie mir helfen können.“
    Wieder klatscht er in die Hände und imitiert damit, erschreckend real, wie ich finde, einen Menschen des Frohsinns und der Neugier. So gekonnt verbirgt jemand sein inneres Monster nur, wenn er zur unangenehmsten Sorte von Verbrechern gehört, zu denjenigen, die auf ihren Verstand hören bei Taten, die aus niedersten Emotionen entstehen.
    „Oho“, sagt er, „Sie schmeicheln mir und behandeln mich vom Rang eines Auguste Dupin. Doch bin ich nur ein Entertainer. Bitte erzählen Sie, ich will mir Mühe geben zu folgen.“
    Ich erzähle ihm all das, was ich vorhin schon sagte; wie ich auf die Anomalien stieß, zu welchen Ergebnissen mich meine Reise durch Deutschland brachte und schließlich die entscheidende Hypothese. Doch mit einem Unterschied gebe ich nun mein Wissen Preis, ich benenne den Mentalisten nicht, und komme so zu der Frage, ob dieser Zusammenhang, Hypnose zum Freitod, überhaupt möglich sei. Bei all dem halte ich Dougan Hall im Blick, suche nach minimalen Veränderungen seiner Mimik, um seine Reaktion auf mein Erzählen zu deuten. Er ist von solcher Perfektion, dass ich nichts anderes erkenne als Neugier und, so erdreistet sich dieser skrupellose Mann, auch Überraschung, als würde er dies alles zum ersten Mal vernehmen. Erst als ich an ein Ende komme, ändert sich der Ausdruck in seinem Gesicht, verdüstert sich zu nachdenklicher Gram.
    „In der Tat“, sagt er und nickt, „es ist gut möglich. Wie Sie in Erfahrung brachten, können responsive Menschen unter Hypnose zu den absurdesten Handlungen geleitet werden, die sie bei wachem Verstande nie unternehmen würden. Warum also nicht zum Freitod? Ich möchte meinen, eine vorzügliche Konklusion ist Ihnen da gelungen. Dazu will ich gratulieren. Doch verraten Sie mir endlich, wer ist der Schänder unschuldiger Menschen?“
    Diese Frage erwartete ich wohl. Da ich den Namen ausließ, sollte seine Neugier, die er so gut spielt, siegen, und ich meine, in dem Wesen seines Blickes eine weitere Veränderung zu bemerken – als lauere er nun. Noch mehr muss ich meine Worte abwägen und sage:
    „Er wird Ihnen wohlbekannt sein, doch seinen Namen mag ich nicht nennen. Sollte ich mich täuschen, käme dies einem Rufmord gleich. Gleichwohl will ich Ihnen mit Hinweisen dienen, denn sollten Sie ihn benennen, käme der Name nur über Ihre Lippen.
    Der Mann, von dem ich spreche, ist englischer Herkunft, doch genauso im Deutschen bewandert. Seine Mutter versorgte ihn mit dem notwendigen Vokabular, kommt sie doch ursprünglich von hier. Er feierte im letzten Jahr sein fünfundzwanzigstes Bühnenjubiläum und folgt dafür bis heute einer Show, die das Beste aus seinen Programmen zusammen fasst. Aufgrund seiner Herkunft befindet er sich seit vier Wochen nun in diesem Land und hatte just an diesem Abend seinen zehnten Auftritt.“
    Erneut halte ich ihn starr im Blick und stelle bei meinen Worten fest, wie er des öfteren von mir wegschaut, neben mich oder, was mich sehr befriedigt, zu Boden. Jetzt greife ich mir einen Apfel und beiße wollüstig hinein, während sich Dougan Halls Miene weiter verdüstert. Dann schaut er mir eine Weile schweigend beim Essen zu. Unerwartet formt sich ein Lächeln auf seinem Mund, ein ratloses, ein amüsiertes. So gut spielt er seine Rolle, dass ich fast glaube, was er nun sagt:
    „Sie sind ein Schelm. Sie sprechen doch von mir. Wie kommen Sie darauf, ich könnte zu solch ungeheuren Taten fähig sein, dass ich mit meinen harmlosen Tricks mir ergebene Zuschauer töte, nicht nur verletze, nein, töte ? So frage ich Sie, was sollte da für mich sein bei dem Ganzen? Nein, so etwas Ungeheures hat mir noch keiner zugetraut.“ 
    „Eben deshalb“, sage ich, „braucht es für einen perfekten Mord ein anderes Motiv als seine Perfektion selbst? Und ist die Macht über andere Menschen nicht das höchste zu erwerbende Gut einer Hypnose? Ja, reicht es nicht schon, kurz Gott zu sein, der gar mit Völkermorden
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