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Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen
Autoren: Carlos Castaneda
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Überzeugung zu vermitteln, daß es noch unerkannte Möglichkeiten im Menschen gibt.
    »Die größte Leistung der neuen Seher«, fuhr Don Juan fort, »ist die Art, wie sie das Geheimnis der Bewußtheit erklärten. Sie verdichteten all dies auf einige Begriffe und Taten, die gelehrt werden können, solange der Lehrling bei gesteigerter Bewußtheit ist.«
    Der Wert dieser Lehrmethode der neuen Seher, sagte er, liege in der Nutzung der Tatsache, daß niemand sich an etwas erinnern könne, was geschieht, solange er sich in einem Zustand gesteigerter Bewußtheit befinde. Diese Unfähigkeit, sich zu erinnern, errichte eine beinah unüberwindliche Barriere für die Krieger, die sich alle ihnen erteilten Lehren ins Gedächtnis zurückrufen müßten, wenn sie auf dem Weg fortschreiten wollten. Erst nach Jahren des Bemühens und der Disziplin könne der Krieger sich an seine Unterweisung erinnern. Dann aber seien die Begriffe und Techniken, die ihm vermittelt wurden, bereits verinnerlicht worden und hätten dadurch die Kraft gewonnen, die die neuen Seher ihnen zugedachten.

2. Die kleinen Tyrannen
    Erst zwei Monate später sprach Don Juan mit mir wieder über die Meisterschaft der Bewußtheit. Wir befanden uns in dem Haus, wo der Zug des Nagual wohnte.
    »Laß uns einen Spaziergang machen«, sagte Don Juan zu mir und legte mir die Hand auf die Schulter. »Oder besser, gehen wir auf den Marktplatz der Stadt, wo eine Menge Menschen sind, und setzen wir uns dort auf eine Bank, um miteinander zu reden.« Ich wunderte mich, daß er einen solchen Vorschlag machte, denn ich war schon ein paar Tage dort im Hause, ohne daß er mehr als »Hallo« zu mir gesagt hätte.
    Als Don Juan und ich das Haus verließen, trat uns la Gorda in den Weg und verlangte, wir sollten sie mitnehmen. Sie schien entschlossen, sich nicht abweisen zu lassen. Don Juan sagte ihr aber in sehr bestimmtem Ton, er habe etwas mit mir persönlich zu besprechen.
    »Ihr wollt über mich reden«, sagte la Gorda, und ihre Stimme wie ihre Haltung drückten Zorn und Mißtrauen aus. »Du hast recht«, antwortete Don Juan ungerührt. Er ging an ihr vorbei, ohne sie anzusehen.
    Ich folgte ihm, und wir wanderten schweigend zum Marktplatz. Nachdem wir uns gesetzt hatten, fragte ich ihn, was in aller Welt wir über la Gorda zu besprechen hätten. Ich litt noch an ihrem drohenden Blick, als wir aus dem Haus gegangen waren. »Nichts haben wir über la Gorda zu besprechen, oder über sonst jemanden«, sagte er. »Ich hab ihr das nur gesagt, um ihren gewaltigen Eigendünkel zu provozieren. Und, siehst du, es hat geklappt. Sie ist wütend auf uns. Wie ich sie kenne, redet sie sich inzwischen ein, wir hätten sie zurückgewiesen und für dumm verkauft, und wahrscheinlich hat sie sich mittlerweile in eine rechtschaffene Empörung hineingesteigert. Würde mich gar nicht wundern, wenn sie uns hier, auf dieser Parkbank, überfallen würde.«
    »Aber worüber werden wir sprechen, wenn nicht über la Gorda?« fragte ich.
    »Wir werden das Gespräch fortsetzen, das wir in Oaxaca angefangen haben«, erwiderte er. »Es geht um die Erklärung des Bewußtseins, und dies wird dich alle Anstrengung kosten. Mach dich bereit, immer wieder zwischen den beiden Ebenen der Bewußtheit zu wechseln. Für die Dauer dieses Gesprächs verlange ich deine ganze Aufmerksamkeit und Konzentration.« In leicht anklagendem Ton sagte ich, wie unangenehm es mir gewesen sei, als er sich die letzten beiden Tage weigerte, mit mir zu sprechen. Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ein Lächeln huschte über seine Lippen und verschwand wieder. Ich begriff, er wollte mir zu verstehen geben, daß ich nicht viel besser sei als la Gorda.
    »Ich wollte nur deinen Eigendünkel provozieren«, sagte er stirnrunzelnd. »Der Eigendünkel ist dein größter Feind. Denk mal darüber nach: was uns schwächt, ist unser Gefühl, durch das Tun und Lassen unserer Mitmenschen verletzt zu sein. Unser Eigendünkel bewirkt, daß wir uns die meiste Zeit unseres Lebens von irgend jemandem gekränkt fühlen.
    Die neuen Seher empfahlen, der Krieger solle sich nach Kräften bemühen, den Eigendünkel aus seinem Leben auszutilgen. Ich habe versucht, diese Empfehlung zu befolgen, und meine ganze Arbeit mit dir zielte darauf ab, dir zu demonstrieren, daß wir ohne Eigendünkel unverletzlich sind.«
    Während ich ihm zuhörte, leuchteten seine Augen plötzlich auf. Ich meinte schon, er werde in ein Gelächter ausbrechen, wozu doch gar kein
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