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Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen
Autoren: Carlos Castaneda
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bemerkt, das ist's wohl«, sagte er.
    »Makellosigkeit, Ablegen des Eigendünkels - das sind mir viel zu unbestimmte Ideen, als daß ich etwas damit anfangen könnte«, stellte ich fest.
    Don Juan unterdrückte ein Lachen, während ich ihn aufforderte, mir doch die Idee der Makellosigkeit ausführlicher zu erklären. »Makellosigkeit, das ist nichts anderes als das richtige Einsetzen von Energie«, sagte er. »Meine Erklärung hat wirklich nichts mit Moral zu tun. Ich habe lediglich genug Energie aufgespart, und das macht mich makellos. Aber um diese Dinge zu verstehen, müßtest du selber genug Energie aufsparen.« Wir schwiegen einige Zeit. Ich versuchte mir vorzustellen, was er eben gesagt hatte. Unvermittelt sprach er weiter. »Die Krieger legen sich ein strategisches Inventar zu«, sagte er. »Sie listen alles auf, was sie tun. Und dann entscheiden sie, welche von diesen Dingen sich ändern lassen - unter dem Gesichtspunkt, die Verausgabung von Energie hinauszuschieben.« Ein solches Verzeichnis, wandte ich ein, müsse wohl alles einbeziehen, was es unter der Sonne gibt. Er aber meinte geduldig, daß die strategischen Inventare, von denen er spräche, nur solche Verhaltensweisen enthielten, die für unser Wohl und unser Überleben wichtig wären.
    Ich konnte mir nicht versagen, ihm vorzuhalten, daß Wohl und Überleben endlos interpretierbare Begriffe seien. Und daß niemals Einigkeit erreicht werden würde hinsichtlich dessen, was für unser Wohl und unser Überleben notwendig sei, und was nicht.
    Aber wie ich so drauflosredete, verließ mich mein Schwung. Schließlich gab ich es auf, weil ich die Vergeblichkeit meiner Argumente einsah.
    Im strategischen Inventar eines Kriegers, sagte Don Juan, sei der Eigendünkel derjenige Posten, der die meiste Energie verbrauche - daher das Bestreben, ihn loszuwerden.
    »Eines der wichtigsten Anliegen eines Kriegers ist, diese Energie freizusetzen, um mit ihrer Hilfe dem Unbekannten entgegenzutreten«, fuhr Don Juan fort. »Das Umdirigieren dieser Energie -das ist Makellosigkeit.«
    Die erfolgreichste Strategie hätten, wie er sagte, die Seher aus der Zeit der Konquista ausgearbeitet, diese unbestrittenen Meister des Pirschens. Sie bestünde aus sechs Elementen, die einen Zusammenhang bildeten. Fünf davon bezeichneten wir als die Attribute der Kriegerschaft: Kontrolle, Disziplin, Voraussicht, >Timing< und Wille. Sie gelten für die Welt des Kriegers, der darum kämpfe, seinen Eigendünkel abzulegen.
    Das sechste Element, das wichtigste vielleicht, gelte für die äußere Welt, und wir bezeichneten es als den »kleinen Tyrannen«.
    Er sah mich an, wie um mich wortlos zu fragen, ob ich verstanden hätte oder nicht.
    »Ich bin wirklich verblüfft«, sagte ich. »Du sagst doch immer, la Gorda sei der kleine Tyrann meines Lebens. Was ist denn nun ein kleiner Tyrann?«
    »Ein kleiner Tyrann ist ein Quälgeist«, erwiderte er. »Jemand, der entweder Macht über Leben und Tod des Kriegers hat, oder ihn lediglich so lange plagt, bis er seinen Weg verläßt.« Don Juan zeigte mir, während er sprach, ein strahlendes Lächeln. Die neuen Seher, sagte er, hätten ihr eigenes System der kleinen Tyrannen entwickelt. Die Idee an sich sei zwar eine ihrer ernsthaftesten und wichtigsten Entdeckungen, aber die neuen Seher hätten sie doch eher mit Humor aufgefaßt. In jedem ihrer Systeme, so versicherte er mir, sei ein Hauch ihres boshaften Humors spürbar, denn Humor sei das einzige Gegengewicht gegen den Drang des menschlichen Bewußtseins, Inventare anzulegen und schwerfällige Begriffssysteme zu ersinnen. Im Einklang mit ihrer Praxis, so erzählte Don Juan, hätten die neuen Seher sich berechtigt gesehen, an die Spitze ihres Systems die primäre Quelle aller Energie zu stellen, den einzigen Herrscher im Universum - und sie nannten ihn einfach den Tyrannen. Alle übrigen Despoten und Machthaber stünden natürlich unendlich weit unter dem Tyrannen. Verglichen mit der Ursache von allem, seien auch die schrecklichsten menschlichen Tyrannen nur Clowns; und daher bezeichne man sie als die »kleinenTyrannen«, pinches tiranos.
    Er sagte, es gebe zwei Untergruppen von kleinen Tyrannen. Die erste Untergruppe bildeten jene kleinen Tyrannen, die einen plagten und elend machten, ohne einen wirklich zu Tode zu bringen. Dies seien die »schäbigen kleinen Tyrannen« -pinches tiranitos. Die zweite Gruppe bildeten jene kleinen Tyrannen, die nur ärgerlich und unendlich lästig seien. Dies seien die
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