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Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen
Autoren: Carlos Castaneda
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Grund bestand, als mich plötzlich ein schmerzhafter Schlag auf meine rechte Backe aufschreckte. Ich sprang auf. La Gorda stand hinter mir - die Hand noch immer erhoben. Ihr Gesicht glühte vor Zorn.
    »So, jetzt kannst du über mich reden, soviel du willst. Jetzt hast du wenigstens Grund dazu«, schrie sie. »Und falls du etwas zu sagen hast, sag es mir ins Gesicht!«
    Ihr Gefühlsausbruch hatte sie anscheinend erschöpft. Sie setzte sich auf den Straßenbeton und fing an zu weinen. Don Juan sagte nichts und lächelte belustigt. Ich war starr vor Wut. La Gorda funkelte mich an, dann drehte sie sich nach Don Juan um und sagte, wir hätten kein Recht, sie zu kritisieren.
    Don Juan krümmte sich vor Lachen, fast daß er sich am Boden wälzte. Er brachte kein Wort heraus. Zwei- oder dreimal versuchte er mir etwas zu sagen, aber schließlich gab er es auf und entfernte sich, seine Gestalt noch immer von einem Lachkrampf geschüttelt.
    Ich wollte ihm nachlaufen, und ich warf la Gorda noch einen letzten bösen Blick zu - so verächtlich fand ich sie in diesem Augenblick -, als etwas Außerordentliches in mir vorging: Auf einmal begriff ich, was Don Juan so spaßig gefunden hatte. La Gorda und ich waren uns ganz ähnlich. Beide hatten wir einen gewaltigen Eigendünkel. Meine Überraschung und Empörung darüber, geohrfeigt worden zu sein, unterschied sich in nichts von la Gordas Wut und Mißtrauen. Don Juan hatte recht. Die Bürde des Eigendünkels ist ein beschwerliches Hindernis. Ich lief hinter ihm her, in geläuterter Stimmung, und Tränen flössen mir über die Wangen. Als ich ihn eingeholt hatte, erzählte ich ihm von meiner Erkenntnis. Seine Augen funkelten lustig und boshaft.
    »Was soll ich jetzt wegen la Gorda tun?« fragte ich. »Nichts«, sagte er. »Erkenntnisse sind immer etwas Persönliches.«
    Dann wechselte er das Thema und meinte, die Zeichen stünden jetzt günstiger, unser Gespräch im Hause fortzusetzen – im großen Zimmer mit den bequemen Sesseln, oder hinten im Patio, der von einer überdachten Galerie eingefaßt war. Diese beiden Bereiche, sagte er, seien für alle anderen tabu, wenn er dort seine Erklärung vortrug.
    Wir kamen ins Haus zurück. Don Juan erzählte den anderen, was la Gorda sich inzwischen geleistet hätte. Das Vergnügen, mit der die anderen Seher la Gorda hänselten, brachte diese in eine unangenehme Lage.
    »Den Eigendünkel kann man nicht mit Höflichkeiten bekämpfen«, meinte Don Juan, als ich la Gorda sagte, wie leid es mir täte.
    Dann bat er die anderen, aus dem Zimmer zu gehen. Wir setzten uns, und Don Juan fing an mit seiner Erklärung. Er sagte, man könne die Seher, und zwar die alten wie die neuen, in zwei Gruppen unterteilen. Die einen seien bereit, sich in Selbstzucht zu üben und ihr Streben auf praktische Ziele zu richten, mit denen sie anderen Sehern, und den Menschen überhaupt, dienen könnten. Die anderen hätten weder mit Selbstzucht noch mit praktischen Zielen viel im Sinn. Die letzteren, darin seien die Seher sich einig, hätten versäumt, das Problem des Eigendünkels zu lösen.
    »Der Eigendünkel ist keine einfache oder unschuldige Angelegenheit«, erklärte er. »Zum einen ist er der Kern all dessen, was gut ist an uns, aber zum anderen ist er der Kern all dessen, was faul ist. Um den faulen Teil des Eigendünkels loszuwerden, braucht es ein Meisterstück der Strategie. Und wem dies gelungen ist, dem haben die Seher zu allen Zeiten höchstes Lob gespendet.«
    Ich wandte ein, daß mir die Vorstellung, den Eigendünkel auszulöschen, auch wenn sie mir oft überzeugend erscheine, doch unbegreiflich sei. Seine Empfehlung, ihn so einfach abzulegen, erschiene mir so unbestimmt, daß ich sie nicht befolgen könne.
    »Man muß sehr einfallsreich sein«, sagte er, »wenn man dem Pfad des Wissens folgen will. Weißt du, auf dem Pfad des Wissens ist nichts so klar, wie wir es gerne hätten.«
    Mein Unbehagen war nicht beschwichtigt, und ich sagte ihm, daß seine Ratschläge mich irgendwie an die Dogmen der katholischen Kirche erinnerten. Nachdem ich ein Leben lang von den Übeln der Sünde hätte predigen hören, sei ich jetzt abgestumpft. »Wenn der Krieger seinen Eigendünkel bekämpft, so geschieht dies nicht aus Prinzip, sondern als Strategie«, antwortete er. »Du machst nur den Fehler, meine Worte unter moralischem Blickwinkel zu sehen.«
    »Aber ich sehe in dir einen sehr moralischen Mann, Don Juan«, sagte ich.
    »Du hast lediglich meine Makellosigkeit
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