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Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen
Autoren: Carlos Castaneda
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»albernen kleinen Tyrannen« - repinches tiranitos, oder die »klitzekleinenTyrannen« - pinches tiranitos chiquitos.
    Ich fand dieses Begriffssystem lächerlich. Ich war überzeugt, daß Don Juan die spanischen Bezeichnungen frei improvisiere. Ich fragte ihn, ob dem so sei.
    »Ganz und gar nicht«, erwiderte er mit belustigter Miene.
    »Die neuen Seher waren große Meister der Systematik. Und Genaro ist zweifellos einer der größten. Falls du ihn einmal aufmerksam beobachten wolltest, würdest du erkennen, was die neuen Seher mit ihren Systemen bezweckten.«
    Er lachte schallend über meine Verwirrung, als ich ihn fragte, ob er mich auf den Arm nehmen wolle.
    »Das würde mir nicht im Traum einfallen«, sagte er und lächelte. »Genaro könnte so etwas tun - ich nicht, zumal ich weiß, wie du über Begriffssysteme denkst. Es ist nur so, daß die neuen Seher furchtbar respektlos waren.«
    Die schäbigen kleinen Tyrannen, fuhr er fort, ließen sich nochmals in vier Gruppen unterteilen: die einen, die uns brutal und gewalttätig plagen; die anderen, die uns durch Bosheit und Tricks erschrecken; wieder andere, die uns traurig machen. Und schließlich jene, die den Krieger quälen, indem sie ihn rasend wütend machen.
    »La Gorda ist eine Klasse für sich«, meinte er abschließend. »Sie ist ein alberner kleiner Tyrann in voller Aktion. Sie ärgert dich, bis du vor Wut explodierst, und macht dich rasend. Sie ohrfeigt dich sogar. Mit alledem will sie dich Gleichmut lehren.« »Das ist nicht möglich!« protestierte ich.
    »Du überblickst noch nicht alle Bestandteile dieser Strategie der neuen Seher«, sagte er. »Bist du erst einmal soweit, dann wirst du wissen, welch ein wirksames und kluges Hilfsmittel es ist, einen kleinen Tyrannen zum eigenen Vorteil zu nutzen. Ich sage dir, diese Strategie ist nicht nur nützlich, um den Eigendünkel abzulegen; sie bereitet den Krieger auch auf die letzte Erkenntnis vor, daß Makellosigkeit das einzige ist, worauf es auf dem Pfad des Wissens ankommt.«
    Mit dieser Strategie, sagte er, hätten die neuen Seher ein lebensgefährliches Manöver erfunden. Der kleine Tyrann sei dabei wie ein Berg, während die Attribute der Kriegerschaft wie Kletterer dem Gipfel entgegenstrebten.
    »Für gewöhnlich werden nur vier dieser Attribute ins Spiel gebracht«, fuhr er fort. »Das fünfte, der Wille, wird für eine letzte Konfrontation aufgespart, sozusagen wenn der Krieger vor dem Peleton steht.« »Warum ist das so?«
    »Weil der Wille einem anderen Bereich angehört, nämlich dem Unbekannten. Die übrigen vier Attribute gehören zum Bereich des Bekannten, dem auch die kleinen Tyrannen angehören. Tatsächlich, gerade die zwanghafte Beschäftigung mit dem Bekannten kann einen Menschen zum kleinen Tyrannen machen.« Wie diese fünf Attribute der Kriegerschaft zusammenwirkten, sagte Don Juan, das könne nur ein Seher verstehen, der zugleich ein makelloser Krieger sei und den Willen zu beherrschen wisse. Denn dieses Zusammenwirken sei ein sehr kompliziertes Manöver, das im Bereich der menschlichen Alltäglichkeit nicht mehr durchführbar sei.
    »Vier Attribute der Kriegerschaft genügen«, sagte er, »um es auch mit dem ärgsten kleinen Tyrannen aufzunehmen. Vorausgesetzt, man hat einen kleinen Tyrannen gefunden. Denn der kleine Tyrann ist, wie ich sagte, das von außen hinzukommende Element. Wir können es nicht kontrollieren, und doch ist es vielleicht das wichtigste von allen. Mein Wohltäter sagte stets, daß ein Krieger, der zufällig über solch einen kleinen Tyrannen stolpert, von Glück sagen kann. Denn es gehört Glück dazu, einem kleinen Tyrannen von selbst zu begegnen. Sonst müßte man ausziehen und sich einen suchen.«
    Eine große Errungenschaft jener neuen Seher aus der Zeit der Konquista sei es gewesen, daß sie - wie Don Juan sich ausdrückte - einen Drei-Phasen-Schritt entwickelten. Weil sie die Natur des Menschen verstanden, so sagte er, seien sie zu dem unbestreitbaren Schluß gelangt, daß ein Seher, der es mit den kleinen Tyrannen aufnehmen könne, sicherlich auch dem Unbekannten straflos gegenübertreten dürfe. Und wer dies vermöchte, der könne sogar die Gegenwart des Unbekannten ertragen. »Der Durchschnittsmensch wird vielleicht einwenden«, sagte er, »daß der Satz eigentlich umgekehrt lauten müßte: Ein Seher, der dem Unbekannten gegenübertreten kann, dürfte es auch mit den kleinen Tyrannen aufnehmen. Aber so ist es nicht. Und genau diese Annahme trug zum
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