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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen
Autoren: Edwin Klein
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schluckte. Wie ein Fremdkörper kam ihr die Zunge vor.
    »Wo bin ich?«, quälte sie die Worte aus dem Mund.
    Sie spürte, wie ihre Hand umfasst wurde. Sanft und zärtlich. Wie lange hatte niemand mehr sanft und zärtlich ihre Hand genommen? War sanft und zärtlich zu ihr gewesen? Und auf­merksam und respektvoll? Hatte in ihr Gefühle erweckt, wie sie sie einmal vor langer, langer Zeit empfunden hatte?
    Mühsam öffnete sie die Augen. Über ihr ein bleicher Fleck. Allmählich sah sie klarer. Ein junges Frauengesicht, braune, gegen das Licht rötlich schimmernde Haare bis zur Schulter, rot der Mund, der sie anlächelte.
    »Machen Sie sich keine Sorgen. Sie sind in guten Händen.« Nach wenigen Sekunden fügte die Sprecherin hinzu, als sei es besonders wichtig: »Es wird schon wieder.« Und dann mit ei­ner Betonung, die fest und sicher klang und keinen Zweifel aufkommen lassen sollte: »Es wird schon wieder.«
    Es wird schon wieder? Sie überlegte. Was soll denn … Autos hörte sie, der Wind fegte über die Brücke, pfiff durch die Stäbe des Geländers und verwirbelte ihr Haar. Hupen, Reifen quietsch­ten. Jemand schrie. War sie es? Ein Schatten stürmte auf sie zu.
    »Wir alle haben schon mal einen Durchhänger gehabt. Nichts interessiert einen, alles ist zuwider. Man kann sich zu gar nichts aufraffen. Ich kenne das Gefühl auch, als werde man von einem Ozean verschluckt.«
    Wie wahr. Der Ozean oder was immer versuchte, sie zu ver­schlucken. Die Resignation, die Verbitterung. Und dass man ihre Liebe ausgenutzt hatte.
    Die junge Frau setzte sich neben das Bett auf einen Stuhl und strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Mein Name ist Carmen. Carmen Sigallas.«
    »Sind Sie Ärztin?«
    »Ja. Genauer gesagt Neurologin.«
    »Sie kümmern sich so um mich. Ich bin in einem … Kran­kenhaus?«
    Die Ärztin nickte aufmunternd.
    »Bin ich krank?« Sie schaute an sich hinunter, bewegte ihre Beine unter dem Bettlaken, hob die Arme und führte die Hän­de vors Gesicht. Bleiche Finger, und an einem von ihnen ein schmaler Goldring. Schlicht und zeitlos und trotzdem so … fremd, und doch so … bedeutungsvoll.
    »Ihnen geht es gut. Ihr Körper ist voll intakt.«
    »Mein Körper? Und ich?«
    Carmen lächelte und zeigte schöne, gerade Zähne. »Krank sein ist eine Frage der Definition. Im Grunde genommen sind wir doch alle krank.« »Was habe ich?«
    »Genau das möchte ich von Ihnen erfahren, Frau …«
    Sie schaute die Ärztin an. Das offene, freundliche Gesicht mit der filigranen Brille, die zu weit vorne auf der Nasenspitze saß, wirkte vertrauensvoll. Immer noch waren ihre Lider schwer und sie musste dagegen ankämpfen, einfach die Augen zu schließen und sich treiben zu lassen. Die Müdigkeit würde sie entführen und in einer anderen, vielleicht angenehmeren Welt absetzen. Ohne Krankenhaus, ohne Ärztin und ohne Fra­gen.
    »Würden Sie mir bitte ihren Namen verraten? Irgend etwas müssen wir doch in die Kartei eintragen.« Carmen hob ein Blatt und winkte damit.
    »Ich weiß …, ich erinnere mich …« Sie war erleichtert, dass sie ihren Namen noch nicht kannten. Sie wollte anonym blei­ben, für immer anonym bleiben. Niemand sollte Zeuge ihrer Schmach werden.
    »Papiere haben wir keine gefunden«, erklärte Carmen.›‚Keinen Ausweis, keinen Führerschein, nichts. Im Grunde genommen existieren Sie noch nicht einmal für uns. Heißen Sie Rita?«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Nur so. Rita ist ein schöner Name und würde zu Ihnen passen. Aber wenn nicht Rita, wie dann?«
    Sie überlegte. Und sie schämte sich wegen ihres Namens, weil es auch der Name ihres Mannes war.
    »Sandra.«
    »Auch nicht schlecht.« Carmen nickte, denn Sandra stimmte mit den Initialen überein, die sie an der Handtasche entdeckt hatte.
    »Und weiter?«
    »Veronique.«
    »Französische Vorfahren?«
    Sie schüttelte den Kopf. Ihr wurde schwindelig.
    »Schade, hätte sich so gut gemacht in einer europäischen Vita.«
    »Veronique gefiel meiner Mutter.«
    »Ähnlich wie Angelique. Und diese Dame war zu Ihrer Jugendzeit sehr populär.« Carmen seufzte. »So, die Vornamen hätten wir. Wie steht es mit dem Familiennamen?«
    Sie überlegte und presste dabei die Lippen zusammen. »Ru­dolph«, antwortete sie nach einigen Sekunden.
    »Klingt eher wie der Name eines Jungen.«
    »Rudolph mit ph.«
    »Ach so.« Carmen machte Notizen auf der Karteikarte.
    »In welchem Krankenhaus bin ich hier?«
    »Wissen Sie das nicht?«
    »Nein.«
    »In Trier,
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