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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen
Autoren: Edwin Klein
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gratulierte ihm ohne Emotionen. Und ohne den Versuch zu machen, ihrer Stimme einen freundlicheren Klang zu verleihen. Oder Anteilnahme zu zeigen. Was er tat und wie er es tat, interessierte sie nicht mehr. Schon lange nicht mehr.
    »Vierzig Arbeitsplätze wird es geben«, sprudelte es am an­deren Ende der Leitung. »Der Verkaufsraum – siebenhundert Quadratmeter groß, mit poliertem Granit ausgelegt und über­all Spiegel, sogar an der Decke. Das wird eine Wucht. Mehr als dreißig Neufahrzeuge kannst du unterbringen. Stell dir mal vor: dreißig blinkende, blitzende Shogun in einem Raum. Gi­gantisch, nicht?« Ja.«
    »Und ich bin Generalimporteur für Rheinland-Pfalz und das Saarland. Sarah, ich habe es geschafft. Diesen Erfolg kann mir niemand mehr nehmen.«
    Sie bemerkte die Selbstzufriedenheit in seiner Stimme. Vor zwei Jahren hätte sie sich mit ihm gefreut. Aber nun war es ihr gleichgültig, welchen Erfolg ihr Mann hatte. Und es war ihr auch gleichgültig, dass er eigentlich immer Erfolg hatte, egal, was er auch in die Hände nahm.
    »Wo wird das Autohaus gebaut?«, fragte sie ohne Interesse.
    »Du weißt schon, im Gewerbegebiet auf der anderen Seite der Saar. Mit der Stadt ist längst alles geklärt. Zehntausend Quadratmeter geben sie mir. Und Zuschüsse. Mehr als zwei Millionen Zuschüsse.«
    »Von Saarburg?«, fragte sie ungläubig, weil sie die Finanzla­ge der Stadt kannte.
    »Nein, vom Land und durch diverse Förderprogramme. Europäischer Integrationsfond, Angleichung des ländlichen Raumes, strukturschwaches Gebiet und so. Denk nur an die vierzig Arbeitsplätze.«
    Und da sie nicht antwortete, erkundigte er sich nach ihrem Befinden.
    »Mir geht es wie immer.«
    »Vermisst du mich?«
    »Ja«, log sie. Dabei hätte sie ihm über die Entfernung von mehr als zehntausend Kilometern ruhig die Wahrheit sagen können.
    »Ich dich auch.« Seine Stimme war ganz weich geworden. »Immer wieder muss ich an dich denken. An deinen Körper, an deinen Mund, an das Feuer in dir. In zwei Tagen bin ich zu Hause. Freust du dich schon?«
    »Ja.« Ein Zittern lief durch ihren Körper. Aber nicht vor Er­regung.
    »Sag mir was Nettes.«
    Sie dämpfte ihre Stimme. »Was soll ich sagen?«
    »Nun, das du es gerne hast und es kaum aushalten kannst ohne mich.«
    »Ja.«
    »Du dich danach sehnst, wenn ich in dich eindringe.«
    »Ja.« Wieder ein Zittern.
    »Und dann baden wir gemeinsam. Na, erinnerst du dich?«
    »Woran?«
    »Nun, die kleinen netten Spielchen in der Badewanne. Und an deine Erregung, wenn das heiße Wasser über deinen Unter­körper läuft.« Sie hörte ihn heftig atmen. »Liegst du etwa in der Badewanne?«
    Sie antwortete nicht.
    »Bist du noch dran?«
    Sie legte eine Hand auf den Hörer. »Ich kann dich kaum noch verstehen.«
    »Hallo, bist du noch dran?«
    Sie nahm die Hand weg. »Was hast du gesagt?«
    »Die Leitung war fast tot.«
    »Du bist plötzlich so weit weg.«
    »Noch viele zärtliche Küsse von mir auf all die Stellen, wo du es immer so gerne magst. Tschüs.«
    Erleichtert legte sie das Telefon auf die Wanne, schloss die Augen und ließ sich treiben. Henry war wirklich weit weg von ihr, aber nicht erst seit wenigen Tagen. Es beruhigte sie zu wis­sen, dass er gerade in Korea herumreiste und nicht plötzlich auftauchen konnte.
    Später, nachdem sie sich im Fernsehen von einer Sendung hatte einlullen lassen, ging sie durch die Wohnung, verrückte unbewusst Stühle und Sessel und verschob Vasen und Porzel­lan auf der Anrichte nach einem genau vorgegebenen, unsicht­baren Muster. Dieses Verhalten war mittlerweile tief in ihr verwurzelt. Ertappte sie sich dabei, dann lachte sie und schuf aus Trotz Unordnung, obwohl sie wusste, spätestens, wenn ihr Mann sich ankündigte, würde wieder alles penibel auf sei­nem Platz stehen. Henry konnte Unordnung auf den Tod nicht ausstehen. Genauso wenig wie Schmutz. Alles musste akkurat an seinem angestammten und genau festgelegten Ort stehen, sauber sein und blitzen. Das hatte Tradition, das gehörte sich nun mal so im Hause von Rönstedt. War das nicht der Fall, wurde er wütend und ausfallend. Und um des lieben Friedens Willen sorgte sie für Ordnung, damit Henry mit sich und sei­ner Ordnung zufrieden war. Ein letzter Rundgang durch das Haus, ob auch alle Türen und Fenster verschlossen waren. Auch das ein Verhalten, welches sie von Henry übernommen hatte. Anfänglich hatte sie sich über ihn lustig gemacht, wenn er abends durch das Haus wanderte, um alles
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