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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen
Autoren: Edwin Klein
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und leise stöhnend warf sie sich im Bett hin und her.
    Nach einer kleinen Ewigkeit fand sie sich wieder in der Ge­genwart ein. Irgendwann, inzwischen war es draußen dunkel geworden, betrat jemand das Krankenzimmer. Aber sie stellte sich weiter schlafend und wollte nicht gestört werden. Etwas wurde auf ihrem Nachttisch abgestellt. Die Person, wahr­scheinlich eine Krankenschwester, verließ den Raum, sie war wieder allein.
    Der kalte Tee schmeckte köstlich. Und von dem Nach­tisch, einem Vanillepudding, aß sie auch etwas. Anschließend richtete sie sich auf, schwang langsam die Beine aus dem Bett und musste innehalten, alles drehte sich. Vorsichtig stellte sie sich hin, umfasste mit einer Hand das verchromte Stahlgerüst mit der Infusionsflasche und schob es langsam vor sich her in Richtung Fenster. Sie blickte hinaus auf den dunklen Innenhof, erhellt von kleinen Lichtinseln, und weiter nach links zu den Parkplätzen. Mit der Stirn berührte sie das kühle Glas, das tat gut. Seufzend wandte sie sich ab und schlurfte zum Bad. Ein zweites Bett stand in ihrem Zimmer, aber es war unbelegt.
    Lange starrte sie das Waschbecken an und konnte sich nicht überwinden, in den Spiegel zu schauen. Entschlossen ruckte sie mit dem Kopf hoch, unwillkürlich stieß sie einen Schrei aus. Ihre Hand, die sich auf den Mund legte, kam zu spät und konnte ihn nicht mehr verhindern.
    Nur wenig Ähnlichkeit hatte das Bild im Spiegel mit dem­jenigen in ihrer Erinnerung. Die blauschwarzen Haare an den Kopf geklatscht und strähnig, die Augen tief liegend, darunter dunkle, bläuliche Ränder mit Verdickungen. Und die farblo­sen Lippen schienen übergangslos mit der Gesichtshaut zu ver­schmelzen.
    Als hätte sie zusätzlich zu allem bisher Gesehenen noch als Krönung eine Selbstkasteiung verdient, beugte sie sich nach vorn, um sich noch mehr von der brutalen Gegenwart zu über­zeugen, und starrte, und starrte. Leicht öffnete sie die Lippen, sie erkannte ihre Zähne, aber sie wirkten gelblich. Mit den Fingerkuppen bemühte sie sich, die dunkleren Stellen unter den Augen zu massieren, sie blieben. Zumindest einen kleinen Erfolg konnte sie verbuchen, als sie mit einem Kamm ihr Haar ordnete.
    Sie schob das viel zu weite Nachthemd nach oben, um sich von den Spuren zu überzeugen, die darunter verborgen lagen und tief in ihr unheilbare Wunden zurückgelassen hatten. Auch ihr Körper kam ihr fremd vor, die Brüste nicht mehr so straff wie gewohnt und ohne Spannkraft. Und dann die blauen Flecke. Ein großer, frischer am Rippenbogen, ein älterer am Oberschenkel und ein dritter unterhalb der rechten Schulter. Er stammte von der scharfen Kante des Wohnzimmerschran­kes. Sie schämte sich. Was war sie so stolz auf ihren Körper gewesen, der sie viel Zeit und viel Geld und viel Schweiß in Fitnessstudios und beim Joggen im Wald gekostet hatte? Viele bewundernde Blicke waren der Lohn. Blicke, die ihr Mann äu­ßerlich gelassen hinnahm, ihn im Innersten jedoch zur Raserei trieben. Der Widerspruch gipfelte darin, dass er es wünsch­te, sie möge sich zu allen öffentlichen Anlässen und privaten Feiern auffällig, sogar aufreizend kleiden und schminken. Das gehöre sich nun mal so als seine Frau, wenn man Mittelpunkt sei, aber zu Hause hatte sie wie Aschenbrödel herumzulaufen. Unauffällig und wenig attraktiv, als Gegenpol des Frivolen, wie zur Buße.
    Nachdem die Nachtschwester ihr noch ein Medikament verabreicht hatte, schlief sie tief und fest und traumlos. Am kommenden Morgen entfernte man ihr nach dem Frühstück den Infusionsschlauch und die Kanüle aus ihrem Handrücken. Wenig später betrat die Ärztin das Zimmer und betrachtete sich ihre Patientin.
    »Wenn Schlaf Schönheit bedeutet, dann haben Sie heute Nacht gut geschlafen«, stellte sie lachend fest. »Wie geht es Ihnen?«
    Sie erwiderte das Lächeln aus Höflichkeit. »Ich finde mich langsam ein.«
    »In Olewig wohnen Sie nicht, Frau Rudolph. Wollen Sie mir nicht Ihre genaue Anschrift …«
    Sie wandte den Kopf ab und besah sich die sterile, weiß ge­tünchte Wand mit dem übergroßen Kruzifix und dem Madon­nenbild daneben.
    »Warum die Geheimniskrämerei?«
    Sie reagierte nicht.
    »Und wohin bitte schön sollen wir die Rechnung schicken?«
    »Ich bezahle sofort mit Karte.«
    »So schnell sind wir nicht. Eine Kreditkarte haben wir auch nicht gefunden. Außerdem wollen wir Sie noch zwei Tage be­obachten.«
    »Warum? Mir geht es gut.«
    Die Ärztin setzte sich und betrachtete sie eine
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