Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen
Autoren: Edwin Klein
Vom Netzwerk:
die Ecke des Teppichs und verschob hier ein Set, mittig auf den Stern des kleinen Tisches mit den kunstvollen Intarsien.
    Im Schlafzimmer waren die Betten akkurat gemacht, die La­ken am Kopfende zu Dreiecken umgeschlagen, eines so groß wie das andere. Und gegen das Licht registrierte sie, dass kei­ne Fingerabdrücke auf dem glänzend polierten Mahagoni des Schrankes zu sehen waren. Staub war auch gewischt worden, sogar auf den Innenseiten der Lampenschalen und der Ober­kante des Türrahmens.
    Zurück im Wohnzimmer schenkte sie sich einen Cognac ein, verschloss die geschliffene Flasche mit dem Glaskorken und stellte sie, mit dem eingravierten Wappen der von Rönstedts nach vorn, an ihren Platz zurück. Sie ließ sich in einen Sessel fallen, streife die Schuhe ab und streckte die Beine aus. Mehr aus Gewohnheit schaute sie hinaus auf die Saar und den gegenüberliegenden Stadtteil mit den vielen miteinander ver­schachtelten Schieferdächern, der wuchtigen Kirche und den hohen Bäumen. Sie schwenkte das Glas und trank in kleinen Schlucken. Der Alkohol beruhigte sie, in letzter Zeit beruhigte er sie immer mehr, obwohl sie regelmäßig Kopfschmerzen be­kam. Aber die Beruhigung und das Vergessen waren ihr wich­tiger als die Folgen.
    Vor sechs Monaten war sie zum ersten Mal in Gesellschaft betrunken gewesen. Ihr Mann hatte sie vor den anderen Gäs­ten bloßgestellt, indem er ausgiebig mit ihr tanzte. Hätte er sie nicht festgehalten, sie wäre hingefallen. Jeder bekam ihren Zustand mit. Und dann ließ er sie einfach stehen. Wie sie nach Hause gekommen war, wusste sie nicht mehr. Zu ihrer eige­nen Verwunderung hatte sie sich jedoch nichts aus dem Vorfall gemacht. Und keiner ihrer Bekannten hatte sie jemals darauf angesprochen.
    Sie wusste nicht, wie lange sie aus dem Fenster gestarrt hatte, als das Telefon ging. Jemand, dessen Name sie nicht kannte, wollte ihren Mann sprechen, den Vorsitzenden des Saarburger Unternehmer Verbandes, SUV. Da er die Privatnummer ge­wählt hatte, musste er ein Bekannter ihres Mannes sein.
    Ihr Mann sei nicht zu Hause. Sie legte auf und stellte sich an die bis zum Boden reichende Glasscheibe. Vor vier Jahren im Sommer hatte sie dieses Haus von der gegenüberliegenden Seite der Saar zum ersten Mal bewusst wahrgenommen. Romantisch und majestätisch zugleich war es ihr vorgekommen, fast einge­wachsen und verdeckt von den hohen Bäumen und nur weni­ge Meter unterhalb der Burg, dem Wahrzeichen von Saarburg. Majestätisch war das Haus immer noch, aber die Romantik registrierte sie nicht mehr. Im Gegenteil, sie empfand alles als bedrückend und einengend. Als verpflichtend und lästig. Als Druck auf ihren Schultern und noch mehr in ihrer Brust.
    Sie schenkte sich einen weiteren Cognac ein, nahm das Tele­fon, ging ins Bad, entkleidete sich und ließ Wasser in die Wanne laufen. Langsam tauchte sie in die Wärme hinein, die wohlig ihren Körper umspülte. Mit geschlossenen Augen trank sie und genoss die Schwerelosigkeit. Aber vergessen konnte sie nicht. Vergessen wollte sie auch nicht mehr. Wie ein Schwamm saugte sie alles auf, stapelte es in den Winkeln ihres Gehirns, um es für alle Zeiten zu konservieren. Nein, vergessen würde sie nie.
    Erneut ging das Telefon. Und noch bevor sich eine Stimme meldete, ahnte sie, es war ihr Mann.
    »Hallo Schatz, wie geht es dir?«
    »Gut«, antwortete sie.
    »Wo warst du denn gestern und vorgestern?« Seine Stimme klang tadelnd. »Ich habe mehrmals versucht, dich zu errei­chen.«
    »So?«, tat sie erstaunt. Sie konnte die permanenten Vorwür­fe nicht mehr ertragen. »Ich war zu Hause.«
    »Mary sagte gestern, sie hätte dich den ganzen Tag noch nicht gesehen.«
    Sarah fühlte sich kontrolliert. »Habe ich mich jetzt schon bei unserer Haushälterin abzumelden?«
    »Natürlich nicht. Aber ich hätte gerne gewusst, wo du zu erreichen bist. Es hätte doch was passieren können.«
    »Dir?« Sie lachte. »Was kann dir denn schon passieren.« Sie trank einen Schluck.
    »Trinkst du gerade?«, fragte er auch prompt.
    »Wie spät ist es denn?«, lenkte sie ab.
    »Hier in Korea ist es jetzt sieben in der Früh.«
    »Und wie waren die Geschäfte?«
    Nun hörte sie ihn lachen. »Ausgezeichnet, Schatz, wirklich ausgezeichnet. In allen Punkten sind sie auf meine Vorschläge eingegangen. Die Verträge sind perfekt. Noch in diesem Jahr werden wir mit dem Bau beginnen. Es wird das größte Auto­haus im Umkreis von zwanzig Kilometern werden.«
    »Glückwunsch.« Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher