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Urban Gothic (German Edition)

Urban Gothic (German Edition)

Titel: Urban Gothic (German Edition)
Autoren: Brian Keene
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1
    »Manchmal läuftʼs einfach scheiße!«, brummte Javier vom Rücksitz.
    Langsam rollte ein so stark tiefergelegtes Auto vorbei, dass die Karosserie fast über die Straße schrammte. Durch die getönten Scheiben konnten sie den Fahrer nicht erkennen, aber die Stereoanlage des Fahrzeugs wummerte laut genug, um ihre Zähne zum Klappern zu bringen.
    Brett seufzte frustriert. »Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, Javier.«
    Aber er hat recht, dachte Kerri, als sie aus dem Beifahrerfenster schaute. Javier hat recht. Es gibt keinen erkennbaren Grund. Manchmal steckt kein tieferer Sinn dahinter. Ganz gleich, wie vorsichtig wir sind, ganz gleich, wie sehr wir versuchen, uns an Planungen oder Routine zu klammern, manchmal laufen unsere Tage einfach aus dem Ruder. Nichts, was wir sagen oder tun, ändert etwas daran, und dann wird es dunkel. Manchmal läuft’s einfach scheiße, und alles ist im Arsch.
    So wie jetzt .
    Aber obwohl die Situation, in der sie steckten, total bescheiden war, ließ sich nicht alles darauf schieben, dass es ›manchmal einfach scheiße läuft‹. Einen Teil konnte man vielleicht aufs Schicksal schieben, der Rest jedoch war ganz allein Tylers Schuld.
    Kerri fragte sich, wie es möglich sein konnte, dass sie ihren Freund gleichzeitig liebte und hasste – denn genau das empfand sie im Augenblick.
    Sie hatten sich aus East Petersburg auf den Weg gemacht, um zu Monsters of Hip-Hop in der Großraumdisco Electric Factory in der Innenstadt von Philadelphia zu fahren. Der Veranstaltungsort lag nicht gerade im besten Viertel der Stadt, aber die Show war es definitiv wert gewesen. Der Hauptact Prosper Johnson & The Gangsta Disciples hatte für eine landesweite Tour die bekanntesten Namen in Sachen Hardcore-Hip-Hop für ein Benefizkonzert zusammengetrommelt: Lil Wyte, Frayser Boy, T-Pain, Lil Wayne, Tech N9ne, The Roots, Mr. Hyde, Project: Deadman, Bizarre, Dilated Peoples und Philadelphias Lokalmatadore, die JediMind Tricks. Die Mädchen bevorzugten eher Hip- Pop als Hip-Hop, aber sie waren trotzdem mitgekommen, weil sie so zusammen abhängen und eine Nacht lang ihrem Provinzkaff entkommen konnten. Immerhin kamen sie auf diese Weise nach Philadelphia. Eindeutig besser, als sich einen weiteren Abend in Garganos Pizzeria rumzutreiben.
    Kerri und Tyler.
    Stephanie und Brett.
    Javier und Heather.
    Schon in der Grundschule hatten sie sich angefreundet – lange, bevor sie anfingen, miteinander zu gehen und Paare zu bilden. Nun änderte sich alles. Den Schulabschluss hatten sie hinter sich. Das College winkte. Die Welt der Erwachsenen. Der Ernst des Lebens. Obwohl es niemand laut aussprach, wussten sie, dass es vielleicht ihr letzter gemeinsamer Abend sein würde. Die meisten von ihnen würden in wenigen Monaten eigene Wege gehen, deshalb wollten sie das Beste daraus machen. Ein letztes Mal richtig Spaß haben, bevor das Leben dazwischenfunkte.
    Nach Konzertende hatten sie sich zu sechst mit dem Rest des Publikums hinaus auf den Parkplatz gedrängelt. Dort stiegen sie in den alten Kombi, den Tyler von seinem Bruder Dustin übernommen hatte, nachdem der nach Afghanistan gehen musste. Dustin hatte immer dafür gesorgt, dass der Wagen so aussah, als sei er gerade vom Fließband gerollt. Dank geschicktem Tuning schnurrte der Motor im Leerlauf und röhrte, wenn Dustin das Gaspedal durchtrat. Anfangs hatte sich Tyler bemüht, den tadellosen Zustand des Autos zu erhalten, aber letztlich ließ er es wie alles andere in seinem Leben verwahrlosen. Als Kerri ihn einmal darauf ansprach, redete er sich damit heraus, keine so geschickten Hände zu besitzen wie sein Bruder. Mit Mechanik hatte er nie viel am Hut gehabt. Tylers Talente lagen woanders – beispielsweise darin, ein Tütchen Gras oder sechs Karten in der dritten Reihe für dieses Konzert aufzutreiben. Er bezeichnete so etwas als ›Beschaffung‹. So viel Geschick bei solchen Dingen besaß in East Petersburg sonst niemand, und das wusste er auch.
    Halb taub vom Konzert und vollgepumpt mit Adrenalin waren sie mit heruntergekurbelten Fenstern vom Parkplatz gerollt, hatten gelacht und sich gegenseitig angebrüllt. Sie hatten Sommer, und sie waren jung. Glücklich. Unsterblich. Und all die schlimmen Sachen auf der Welt? Die passierten doch sowieso nur den anderen.
    Bis sie ihnen passierten.
    Es fing damit an, dass Tyler fünf Minuten, nachdem sie vom Parkplatz fuhren, den Entschluss fasste, einen Freund zu besuchen, der auf der anderen Seite des Flusses in Camden
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