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TS 90: Die dritte Chance

TS 90: Die dritte Chance

Titel: TS 90: Die dritte Chance
Autoren: Clark Darlton
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1.
     
    Der Raum war quadratisch und ohne jede Einrichtung. Die Länge der Seiten betrug nicht mehr als vier Meter, und der Mann, der sich gerade vom Boden erhob, konnte aufrecht stehen, ohne mit dem Kopf gegen die Decke zu stoßen. Es war kalt, und die Luft in der stählernen Kammer wirkte steril.
    Die einzige Abwechslung war ein großes, ovales Fenster in der einen Wand. Seine Ränder waren dick und massiv. Das Glas – wenn es Glas war – hatte eine Dicke von fünfzehn Zentimetern, aber trotzdem war es rein und durchsichtig.
    Der Mann hatte in der vergangenen halben Stunde feststellen müssen, daß es für seine Begriffe viel zu durchsichtig war. Er hatte die Augen geschlossen und die Hände davorgehalten, aber das Bild, das er einmal gesehen hatte, war nicht mehr erloschen.
    Nun stand er da gegen die Wand gelehnt und schämte sich nicht, als ihm die Tränen kamen. Er wehrte sich nicht gegen sie und ahnte, daß nur diese Tränen ihn vor dem beginnenden Wahnsinn retten konnten. Nur wenn er sich jetzt gehenließ, würde er sich später beherrschen können. Später, wenn der Fremde kam und seinen Triumph auskosten wollte. Er würde dazu vollauf berechtigt sein, denn seine Voraussage hatte sich erfüllt. Seine schreckliche Prophezeiung war grausige Wirklichkeit geworden.
    „Ich kann es immer noch nicht glauben“, murmelte der Mann und spürte, wie die heißen Tränen seine Mundwinkel erreichten. Sie waren salzig. „Aber meine Augen … sie können sich nicht getäuscht haben. Mit ihnen habe ich es gesehen – durch dieses Fenster.“ Er wagte nicht, in Richtung des ovalen Fensters zu blicken. „Und wenn ich will, kann ich es noch immer sehen …“
    Er hämmerte verzweifelt mit den nackten Fäusten gegen die stählerne Wand. Dumpf klang es zurück. Auch diese Wand mußte dick und massiv sein, eigentlich viel zu dick für ein Raumschiff, das in mehreren tausend Kilometern Höhe die Erde umkreiste.
    Oder das, was einmal die Erde gewesen war.
    Er hörte auf zu hämmern, denn er wußte, wie sinnlos es war. Zu oft schon hatte er versucht, die Aufmerksamkeit seiner Entführer, denen er nun auch noch das Leben verdankte, derart auf sich zu lenken. Sie kamen zu ihm, wenn er das wünschte – und dachten. Sie waren Telepathen.
    Langsam drehte er sich um und ging wieder vor das Fenster. Er kniete sich nieder, um das, was er eigentlich nicht mehr sehen wollte, besser sehen zu können. Dabei dachte er an die Fremden und hoffte, sie würden jetzt nicht kommen und ihn stören. Eben erst, entsann er sich, hatte er sie rufen wollen. War der menschliche Geist wirklich so voller Widersprüche?
    Er sah aus dem Fenster und wußte, daß es so war.
    Dort unten also, der an vielen Stellen glühende und von dunklen Wolken umgebene Planet, das war die Erde. Hier und dort blitzten letzte Atomexplosionen auf; sie konnten nur von verspäteten Raketen stammen, die erst jetzt ihr Ziel erreichten, denn es gab schon längst keine Menschen mehr dort unten auf den verseuchten Kontinenten und Meeren.
    Er, hier im Raumschiff der Fremden, war der letzte Mensch.
    Dort unten in der entfesselten Hölle des atomaren Krieges, der vor einer halben Stunde begonnen hatte und bereits zu Ende war, konnte niemand mehr leben. Die Hitze Tausender künstlicher Sonnen hatte sie hinweggefegt von der Oberfläche einer Welt, deren Untergang die Apokalyptiker immer wieder vorausgesagt hatten. Niemand hatte sie ernst genommen, auch er nicht, der nun der letzte Mensch war.
    Er, der seinen Namen vergessen hatte.
    Wer war er, der das Ende hatte überleben dürfen?
    Merkwürdig – ein Teil seiner Erinnerung funktionierte noch einwandfrei, und er konnte sich genau entsinnen, wie alles gekommen war. Und während er hinabstarrte auf die verbrennenden Kontinente, die kochenden Meere und die glühenden Gase der verseuchten Atmosphäre, wurde das Unglaubliche, das er erlebte, noch einmalWirklichkeit.
     
    *
     
    Es dunkelte bereits. Die Straße führte durch fast unbewohntes Gebiet. Ab und zu trat der Wald zurück, um Lichtungen Platz zu machen. Vereinzelte Bauerngehöfte lagen rechts und links der Straße; ihre einsamen Lichter strahlten Geborgenheit und Frieden aus.
    Es war kalt draußen. Von den Wiesen und Mooren her kroch weißer Nebel heran und lag meterhoch über der Straße. Er mußte nun langsamer fahren, obwohl er schon lange keinem Auto mehr begegnet war. Einmal war ihm gewesen, als husche ein großer, ovaler Schatten über ihn hinweg, aber das mußte eine
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