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Hinter verschlossenen Türen

Titel: Hinter verschlossenen Türen
Autoren: Anne Kathrine Green
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Erstes Kapitel.
    Um acht Uhr abends sollte Doktor Kameron mit seiner Braut Genofeva Gretorex im Hause ihrer Eltern am Sankt Nikolausplatz getraut werden. Jetzt war es vier Uhr.
    Der Doktor saß in seinem Sprechzimmer. Er ließ sein vergangenes Leben im Geist an sich vorüberziehen und baute Luftschlösser für die Zukunft. Obgleich noch jung an Jahren, erfreute er sich doch bereits eines nicht unbedeutenden Rufes als tüchtiger Arzt. Nun eröffneten sich ihm auch noch durch seine Verbindung mit der Tochter einesder reichsten und angesehensten Bürger Neuyorks für seinen Ehrgeiz neue wertvolle Beziehungen, und er erhielt die Anwartschaft auf ein beträchtliches Vermögen. Diese nicht unwillkommenen Zugaben erhöhten in seinen Augen die Reize der Braut noch um ein Bedeutendes. Nicht daß er sie nicht geliebt – oder zu lieben geglaubt hätte – ganz abgesehen von ihrer Lebensstellung! War sie doch schön, und besaß dabei jene stolze Zurückhaltung, die er besonders bewunderte! Ihr vornehmes Wesen, ihre gesellschaftliche Bildung würden seinem bereits hochgeachteten Namen einen noch ehrenvolleren Klang verleihen! Allerdings hatte sie ihre Launen, wie man das bei einem Mädchen in solcher Stellung kaum anders erwarten kann; auch schien sie mehr verständige Wertschätzung als glühende Hingabe für ihn zu empfinden; das hatten verschiedene kleine Vorkommnisse der Verlobungszeit deutlich gezeigt. Aber eine Braut voll überschwenglicher Gefühle wäre kaum nach seinem Geschmack gewesen. Die ruhige Würde dieser Ehe schien seinem Charakter angemessen und für beide Teile höchst befriedigend. Es ließ sich dabei der innere Gleichmut bewahren, dessen er zur Ausübung eines Berufs bedurfte, der ihn in Anspruch nahm.
    Nur ein Umstand machte ihm Sorge. Warum hatte ihm seine Braut während der letzten Woche ihren Anblick gänzlich entzogen? Woher dieser seltsame Wunsch, sich zurückzuziehen in einer Zeit, da man meinen sollte, die Gegenwart des Verlobten müsse für sie ein unabweisbares Bedürfnis sein? – Sie war wirklich kein leicht verständlicher Charakter. Zuweilen hatte er in ihrem kühlen, meist matt umschleierten Blick einen Geist aufleuchten sehen, der nur nach Licht und Luft zu verlangen schien, um sich frei und groß zu entfalten, so daß ihm wohl der Gedanke gekommen war, es schlummere in ihr eine Tatkraft, für die es in dem gewohnten Geleise ihres vornehmen Gesellschaftslebens keinen Spielraum gab. – Weshalb aber wollte sie ihn nicht sehen?Hatte er etwa ihr Mißfallen erregt? Das konnte er kaum glauben. Er hatte ihr reiche Geschenke gesandt, kostbare Gaben, wie sie ihrem feingebildeten Geschmack entsprachen. War sie krank? Dann müßte er als ihr Arzt doch davon unterrichtet worden sein. Sie hatte ja auch das letztemal, als er das Glück gehabt, bei ihr vorgelassen zu werden, wohler und blühender ausgesehen als je zuvor. Eine gewisse nervöse Hast war ihm wohl in ihrem Wesen aufgefallen, doch hatte sie ihm ein weit freundlicheres Entgegenkommen gezeigt als sonst. So kurz dieser letzte Besuch gewesen war, er hatte ihm doch einen tiefen Eindruck hinterlassen; noch sah er im Geist den fast schüchternen Blick, mit dem sie ihn begrüßte, und ihr Lächeln, bei dem er förmlich erschrak, war viel wärmer und inniger als gewöhnlich gewesen. Dann die wenigen raschen Worte – denn selbst an jenem Abend entließ sie ihn bald – und die plötzliche Scheu, als er ihr zum Abschied die Hand bot, all das stand ihm noch deutlich in Erinnerung. Im Augenblick selbst war es ihm nicht weiter aufgefallen, aber jetzt kam ihm vor, als sei in ihrem ganzen Benehmen etwas Neues, Fremdartiges gewesen, das gegen ihr früheres Gehaben abstach. Er war sich des Unterschieds wohl bewußt, wenn er ihn auch nicht erklären konnte. Der Abschiedskuß zum Beispiel, den er erhalten, war nicht kalt und förmlich; ihre Lippen schienen den Druck der seinigen erwidern zu wollen.
    Das alles hätte als ein günstiges Zeichen gelten können, als Vorbote größerer Herzenswärme in ihren künftigen Beziehungen, wenn nicht durch das spätere Verhalten der Braut jede derartige Annahme zunichte gemacht worden wäre. Unter diesen Umständen ließ sich eher vermuten, sie habe sich damals in einem unnatürlichen Zustand befunden, es sei vielleicht ein Fieber im Anzug gewesen. War sie krank und verbarg man es ihm? – Des Dieners Ausflüchte: »Fräulein Gretorex bittet, sie zu entschuldigen, dasie gerade sehr beschäftigt ist,« – »Frau Gretorex
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