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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters
Autoren: Judith Lennox
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Sobald Sie konnten, sind Sie nach London geflohen, in dieses Haus hier, das Sie von Ihrer Großmutter mütterlicherseits geerbt haben, die wiederum die siebte Tochter einer siebten Tochter war.« Er hielt inne, als ihm nichts mehr einfiel.
    »Vollkommen falsch«, sagte sie, aber sie lächelte. Ihr Blick schweifte durch das Zimmer. »Das hier war das Haus meines Mannes. Er ist tot. Fast zehn Jahre schon. In seiner Spitfire zu einem Häufchen Asche verbrannt.«
    Ihr kühler, leichter Ton und die herzlose Wortwahl schockierten ihn. Er murmelte: »Das tut mir leid«, und sie zauste wieder sein Haar und sagte: »Es braucht Ihnen nicht leid zu tun. Es ist lange her. Und Sie – sind Sie mit dem Militärdienst fertig?«
    »Seit heute morgen, ja.«
    »Was haben Sie jetzt vor?«
    »Ich weiß noch nicht«, gestand er. »Ich habe mich noch nicht entschlossen. Wahrscheinlich sollte ich Jura studieren oder so was.«
    »Das klingt ziemlich langweilig.« Sie lächelte ironisch. »Und inzwischen – leben und Spaß haben?«
    »So ungefähr, ja.« Er erklärte: »Ich bin gleich nach der Schule zum Militär gegangen. Ich mußte vorher noch nie entscheiden.«
    »Es muß ja herrlich sein, wenn alles fix und fertig vor einem ausgebreitet liegt. Das ganze Leben – wie eine riesige Schachtel Pralinen.«
    Sie stellte ihr Glas weg und stand auf. »Soll ich Sie mit ein paar Leuten bekannt machen, Caleb? Das wäre doch schon mal ein Anfang, hm?«
    Caleb lernte Marcus kennen, der Filme machte; Caroline, die bei Norman Hartnell als Mannequin arbeitete; und Simone, die für die Vogue schrieb. Er tanzte zu kratziger Grammophonmusik mit einer blasiert aussehenden, unterkühlten Blondine und grölte, mit einem Dutzend anderer Gäste um einen Stutzflügel gedrängt, die Refrains von »Jealousy« und »Moonlight Serenade«. Er trank eine Menge und vertilgte dutzendweise belegte Brötchen. Ab und zu sah er flüchtig einen Schimmer des saphirblauen Kleids, aber immer, wenn er sich durch das Menschengewühl drängte, um Pamela zu suchen, verlor er sie gleich wieder aus den Augen. Als ihm schwindlig wurde vor Alkohol und Erschöpfen, schien sie ihm der einzige feste Punkt zu sein, ein klares blaues Leuchten an einem immer trüber werdenden Himmel.
    Er verlor alles Zeitgefühl; als er das nächste Mal auf seine Uhr schaute, war es halb fünf Uhr morgens. Alec war schon vor Stunden gegangen. Gläser und Flaschen standen verlassen auf Tischen und Fußböden. Von den Gästen, die noch da waren, waren einige auf Sofas oder Treppenstufen eingeschlafen. Eine müde, traurige Stimmung durchzog das Haus; auf dem Treppenabsatz saß ein weinendes Mädchen, und in der Küche umarmte sich ein Pärchen.
    Als Caleb zu einem der Fenster hinausschaute, sah er unten im Garten Pamela. Der Regen, der langsam an den Scheiben herabrollte, verwischte das blaue Kleid. Er stolperte zur Terrassentür hinaus, rutschte auf der nassen Terrasse aus und stieß einen Topf mit welken Geranien um. Im ersten Moment bemerkte er nicht, daß sie nicht allein war.
    Als sie ihn ansah, war ihr Blick leer und kalt. Ihr Begleiter, der um die Dreißig war und auf eine etwas schmierige Art recht gutaussehend, sagte in arrogantem Ton: »Willst du uns nicht miteinander bekanntmachen, Pam?«
    »Natürlich, Eliot, das ist –« Sie hielt mit zusammengezogenen Brauen inne. »Eliot, das ist Christopher –« Sie schüttelte ungeduldig den Kopf. »Ich meine, Colin –«
    »Caleb«, sagte Caleb. »Caleb Hesketh.«
    »Das ist mein Verlobter, Eliot Favell.«
    Sie tauschten einen Händedruck. Ein peinliches Schweigen trat ein. Calebs gute Manieren, die ihm von seiner Mutter und auf der Schule eingetrichtert worden waren, retteten sie schließlich. »Ich wollte mich bedanken. Für Ihre Gastfreundschaft, meine ich. Es war ein tolles Fest.«
    »Freut mich, daß es Ihnen gefallen hat.« Ein vages Lächeln. »Melden Sie sich, Darling, ja?« Sie wandte sich ab.
    Er ging. Er war noch immer ziemlich stark betrunken, und lebhafte Bilder aus der langen Nacht begleiteten ihn, als er durch die stillen Straßen ging: Doris’ Finger mit den rotlackierten Nägeln auf seinem Arm, während sie tanzten; die sommersprossige Rotblonde aus dem Klub in Soho und Pamela natürlich, schön und eisig.
    Der Himmel begann sich zu lichten, als Caleb den Victoria-Bahnhof erreichte. Die Wolken öffneten sich, und ein rosiger Schein fiel über Dächer und Türme der Stadt. Er blieb stehen, blickte nach oben und fühlte sich von einem
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