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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters
Autoren: Judith Lennox
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Dad wegbringen und ihn aufhängen, bis er tot war. »Dad!« schrie sie, aber das Wort ging im Lärm unter. Jetzt klangen Schritte auf der Treppe, schwere, entschlossene Schritte, als marschierte eine Armee durch Middlemere. Romy drückte ihr Auge an das Astloch, aber sie zitterte so stark, daß alles, was sie sah, verwackelt war.
    Ihr Vater schluchzte. Er öffnete das Schloß des Gewehrs, nahm die leeren Hülsen heraus und schob zwei neue Patronen in den Lauf. Seine Finger rutschten an dem glatten Metall ab. Romy stieß die Schranktür auf. »Dad!« rief sie noch einmal. Da drückte er ab.
    Die Männer im Wald, die fragten mich einst: Wie viele wilde Erdbeeren wachsen im Meer?
    Romy begann laut zu schreien.

Teil 2
    Wegsuche
    Frühling – Sommer 1953

2
    E S WAR DER F RÜHLING des Jahres 1953, Caleb Hesketh und Alec Nash feierten in London das Ende ihrer Militärdienstzeit. Früher am Abend hatten sie feierlich ihre Entlassungspapiere verbrannt. Endlich waren alle Quadrate auf den Bögen, von denen jedes für einen Tag Militärdienst stand, schwarz ausgemalt gewesen. Siebenhundertdreißig Quadrate insgesamt. Zwei Jahre ihres Lebens.
    Zwei Jahre, in denen die alte Militärparole Kopf einziehen und Klappe halten auch Calebs Maxime gewesen war. Sie hatte ihm während der Militärzeit ebensogute Dienste geleistet wie in der Schule. Und wenn er doch einmal den Mund hatte aufmachen müssen, hatte er jeweils die Sprechweise angenommen, die den Umständen am ehesten entgegenkam – die mit dem mundartlichen Anklang seiner Kindheit für die Armee, eine etwas reinere, kultiviertere für die Schule. Es war das einfachste; dann brauchte man nicht zu fürchten, daß auf einem herumgehackt würde.
    Nicht, daß er sich in der Schule oder beim Militär nicht wohl gefühlt hätte. Er war jemand, der sich den jeweiligen Gegebenheiten gut anpassen konnte. Schon am Tag seiner Ankunft im Ausbildungslager Catterick vor zwei Jahren hatte er gewußt, daß er das hinbekommen würde. Beim Militär, hatte er vermutet, würde es nicht viel anders zugehen als im Internat: Man würde kalt und ungemütlich wohnen, schlecht essen und ständig gesagt bekommen, was man zu tun und zu lassen hatte. Aber damit konnte er umgehen. Genau wie die Jungs aus der Arbeiterklasse, die schon zwei Jahre auf dem Bau oder einer Werft malocht hatten. Nur die Bürschchen von den humanistischen Gymnasien, die bisher nie von zu Hause weggewesen waren, hatten in der ersten Nacht in ihr Kopfkissen geflennt.
    Calebs ganze Tätigkeit während des Militärdiensts hatte darin bestanden, in einer Reihe trister Lager Papiere hin und her zu schieben. Sein schlimmster Feind war die Langeweile gewesen. Eine ziemliche Farce, seine militärische Laufbahn, hatte er oft gedacht, besonders im Vergleich zu der seines Vaters.
    Calebs Vater war Schreiner gewesen. Die Depression hatte Archie Hesketh schwer getroffen und ihn um den kleinen Betrieb gebracht, den er sich in Südwestengland aufgebaut hatte. Obwohl er auf der Suche nach Arbeit sogar seinen Heimatort verlassen hatte, hatte er nichts gefunden, was von Dauer war, und die Familie hatte ständig zu kämpfen, um sich irgendwie über Wasser zu halten. Trotzdem erinnerte sich Caleb, wenn er an seine frühe Kindheit dachte, nicht an Armut und Entbehrung, sondern an fröhliche Geselligkeit und Gemeinschaft. Sein Vater war ein sanftmütiger, stiller Mensch gewesen, der seinem kleinen Sohn gegenüber nicht ein einziges Mal die Stimme erhoben, sondern sich mit unerschöpflicher Geduld um ihn gekümmert hatte. Er hatte ihn auf der Schaukel im Park angestoßen, hatte ihm das Radfahren beigebracht und ihm abends vorgelesen.
    Bei Ausbruch des Krieges 1939 hatte Archie Hesketh sich freiwillig zu den britischen Expeditionsstreitkräften gemeldet. Im Mai 1940 war er unter heftigem feindlichem Beschuß auf einem alten Raddampfer von den Stränden Dünkirchens geflohen. Im folgenden Jahr war er nach Nordafrika abkommandiert worden und hatte dort Anfang 1942 bei Tobruk den Heldentod gefunden. Caleb war neun Jahre alt gewesen, als das Telegramm gekommen war, das seine Mutter und ihn vom Tod seines Vaters in Kenntnis setzte. Die Nachricht hatte ihn in Verwirrung und Ungläubigkeit gestürzt, und lange Zeit hatte er danach insgeheim an dem Glauben festgehalten, das Ganze sei ein Irrtum, sein Vater sei in Wirklichkeit in Kriegsgefangenschaft geraten oder hielte sich vielleicht in der Wüste versteckt. Seine Mutter, daran erinnerte er sich noch genau,
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