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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters
Autoren: Judith Lennox
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war wie eine Verlorene in dem Häuschen herumgeirrt, in dem sie damals gelebt hatten, als könnte zum erstenmal nichts von dem ihr helfen, was ihr sonst Halt zu geben pflegte – weder ihr Optimismus noch ihre Zigaretten, noch die hübschen kleinen Nippsachen, mit denen sie das Haus füllte.
    Die Erinnerungen an seinen Vater erstarrten mit der Zeit und gerannen zu einer Reihe von Schnappschüssen und Anekdoten. Nicht lange nach seinem Tod war Caleb dank eines Stipendiums für die Söhne der Gefallenen aus dem Regiment seines Vaters aufs Internat gekommen und hatte sich durch die Schule so mühelos hindurchlaviert wie später durch den Militärdienst. Bei Schulabschluß hatte er flüchtig mit dem Gedanken gespielt, Berufssoldat zu werden, aber die Erfahrungen im Militärdienst hatten ihn schnell von dieser Idee geheilt. Er hatte weder Archie Heskeths Bereitschaft, sich der Autorität zu beugen, noch seine Begabung zum Heldentum mitbekommen. Diese Erkenntnis war von leichter Beschämung und einer gewissen Enttäuschung begleitet gewesen.
    Er hätte die Offizierslaufbahn einschlagen und so der lärmenden Vertraulichkeit der Mannschaftskaserne entkommen können, aber er hatte sich entschieden, beim Fußvolk zu bleiben, vor allem, weil er bezweifelte, daß er sich die Rechnungen der Offiziersmesse würde leisten können, aber auch, weil es gutgetan hatte, einmal zwei Jahre lang nicht zu heucheln, nicht ständig vorgeben zu müssen, einer zu sein, der man gar nicht war. Während seiner Zeit als Stipendiat an einem unbedeutenden Privatinternat war es noch das einfachste gewesen, sich die richtige Sprechweise zuzulegen. Dafür zu sorgen, daß man nicht wegen seiner bescheidenen Herkunft Anlaß zu Spott und Hänselei gab, war ein weit schwereres Stück Arbeit gewesen.
    Aber jetzt endlich hatte er Schule und Militär für immer hinter sich. Heute abend feierte er den Beginn seines restlichen Lebens. Der Abend schien ihm voller Verheißung zu sein – auf Abenteuer vielleicht oder auch Liebe; auf Befreiung aus Routine und Langeweile; auf eine Chance, nach so langer Zeit seinen eigenen Weg zu wählen.
    In einem Pub am Piccadilly trafen Caleb und Alec zufällig einen ehemaligen Mitschüler, der ein paar Klassen höher gewesen war als sie – Caleb erinnerte sich, daß es aus seinem Zimmer immer nach verbranntem Toast gerochen hatte. Sie hängten sich an die Clique des Toastverbrenners und zogen mit ihr durch den kalten, regnerischen Abend. In einer überfüllten kleinen Bar in Soho, wo sie Bier und Whisky tranken, quatschten sie bei lauter Musik eine Blondine und eine Brünette an. Die Blondine hieß Helen, die Brünette Doris. Helen schloß sich Alec an, Doris Caleb. Caleb fragte sich, ob es immer so war, daß hell sich zu hell gesellte und dunkel zu dunkel.
    Doris’ Haar umgab in steifen Wellen ihren Kopf. Ihr Gesicht war zu gipsweißer Glanzlosigkeit gepudert, und ihr üppiger Busen drückte sich beim Tanzen wogend gegen Calebs Brust. Sie sei aus Yarmouth, erzählte sie. Nach London gekommen, um ihr Glück zu machen (mit einem Kichern). »Und, hast du’s schon geschafft?« fragte er, und sie sah ihn verständnislos und etwas verdutzt an.
    »Ich möchte Kosmetikerin werden«, erklärte sie. »Ich bin gut in Maniküre.«
    Sie kauften Tüten voll Chips und aßen, während sie durch die Straßen gingen. Doris aß alle ihre eigenen Chips und den größten Teil von Helens. In einem verqualmten Pub trank sie einen Gin Orange nach dem anderen und erzählte Caleb, sie denke daran, ihr Haar blond zu färben. »Blondinen fallen den Männern immer zuerst auf«, erklärte sie sachlich. Caleb überlegte, ob er beleidigt sein sollte, fand es aber nicht der Mühe wert. Als sie wieder in die kalte Nacht hinausgingen, färbte sich Doris’ Gesicht unter den Puderschichten grün, und sie übergab sich in den Rinnstein, worauf Helen sie in ihre Obhut nahm und auf der Suche nach einem Taxi zurück zu ihrer Unterkunft mit ihr davonging.
    Caleb und Alec landeten in der nächsten Bar, einer Kneipe von der Sorte, in denen erwartet wurde, daß man den Tischdamen schamlos überteuerte Getränke spendierte. Caleb schüttelte höflich lächelnd den Kopf, als eine Frau sich an ihn heranmachen wollte. Ihm ging langsam das Geld aus. Selbst Alec wirkte angesichts einer astronomischen Rechnung für ein Glas Champagner, das er einer sommersprossigen Rotblonden spendiert hatte, etwas gequält. Als niemand schaute, machten sie sich davon. Auf einem ausgebombten
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