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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters
Autoren: Judith Lennox
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Grundstück hockten sie sich auf eine Mauerruine und hielten die erhitzten Gesichter zur Abkühlung in den feinen Nieselregen.
    Alec schwenkte triumphierend einen Zettel. »Schau her! An der Adresse hier steigt gerade eine Riesenfete.«
    Die Fete fand in einem hohen, schmalen Haus in einer Seitenstraße der King’s Road statt. Die Haustür stand offen, Musik und Licht strömten zur Straße hinaus. Drinnen war ein langer Flur mit schwarzweiß gefliestem Boden. Gäste saßen auf der Treppe, zwei oder drei jeweils auf einer Stufe. Flaschen und Gläser blitzten, und an der Decke funkelte leise schwankend ein großer Leuchter.
    Caleb durchstreifte das Haus und sah sich um. Er schaute sich immer gern alles an – Häuser, Menschen, Gärten, das Meer, was auch immer. Dieses Haus war ein Prunkstück verblichener Pracht. Die Möbel waren aus dunklem, glänzendem Holz, die Vorhänge aus abgewetztem Samt. Die Gäste waren von einem Flair lässiger Eleganz umgeben; ihr Schmuck, vermutete Caleb, war echt, ihre Kleider, auch wenn sie Jahrzehnte auf dem Buckel hatten, aus Paris oder Rom.
    Auf einem Bücherregal bemerkte er ein Glas mit irgendeinem Getränk, das jemand dort stehengelassen hatte, und nahm es mit, um auf seinem Rundgang von Zeit zu Zeit daraus zu trinken. Die in Öl gemalten Konterfeis strenger, schnauzbärtiger Männer blickten von den Wänden im Korridor auf ihn herab; er gewahrte sein Bild in einem goldgerahmten Spiegel und fuhr sich hastig durch sein kurzes, schwarzes Haar. Vielleicht, dachte er, hätte er einen Abendanzug tragen sollen. Beinahe alle Männer hier trugen Abendkleidung. Aber er hatte gar keinen Smoking. Er hatte überhaupt nur einen einzigen Anzug, den nämlich, den er gerade anhatte. Er hatte ihn mit achtzehn das letzte Mal getragen, und er war ihm viel zu klein, und –
    »Hallo, wer sind Sie denn?« sagte jemand.
    Er fuhr herum. Sie war schlank und groß – nur wenige Zentimeter kleiner als er selbst – und hatte welliges kastanienbraunes Haar. Ihre mandelförmigen Augen hatten die gleiche Farbe wie ihr saphirblaues Kleid.
    »Caleb Hesketh.« Er bot ihr die Hand.
    »Kennen wir uns?« Sie runzelte die Stirn. »Ich glaube nicht. An Sie würde ich mich erinnern.«
    Er sagte ehrlich: »Wir sind auf dem falschen Fest.«
    Sie lächelte. »Ich denke, Sie sind genau richtig hier. Ich bin Pamela Page. Es ist mein Fest.« Sie sah zu seinem Glas hinunter. »Was trinken Sie?«
    »Keine Ahnung. Es schmeckt nach Terpentin.«
    »Ich habe Champagner da. Der schmeckt viel besser als Terpentin.«
    Er folgte ihr in ein Zimmer. »Da«, sagte sie, »auf der Kredenz. Und drehen Sie die Flasche, nicht den Korken. Ich möchte den Champagner nicht auf dem Fußboden haben. Das wäre Verschwendung.«
    Er goß zwei Gläser ein. Wenn sie lächelte, zogen sich ihre Mundwinkel aufwärts wie die Spitzen eines Halbmonds. »Köstlich. Mein Lieblingsgetränk. Sie mögen Champagner doch auch, oder, Caleb?«
    »Ich trinke ihn heute das erste Mal.«
    »Ach, Sie armer Junge.« Sie setzte sich auf ein Sofa und klopfte auf den freien Platz neben sich. »Kommen Sie, erzählen Sie mir von Ihrer traurigen Kindheit. – Nein!« Sie krauste die Stirn. »Lassen Sie mich raten.«
    Der Champagner in seinem Glas sprudelte. Während er trank, sich im Zimmer umsah, vor allem sie betrachtete, ergriff ihn prickelnde Erwartung. Sein Leben hatte endlich begonnen.
    Sie sagte: »Also, geboren wurden Sie – ach, irgendwo in der Prärie. Sie haben einen Akzent, Darling, einen klitzekleinen nur, aber für so was habe ich ein feines Ohr. Dann – hm, lassen Sie mich überlegen … Ich nehme an, Sie waren auf irgendeiner gräßlichen Schule, wo Sie ständig Rugby gespielt haben, und danach …« Sie zauste ihm mit langen, schlanken Fingern das Haar. Ein Schauder rann seinen Rücken hinauf, und beinahe hätte er sich an seinem Champagner verschluckt. »Danach haben Sie offensichtlich Ihren Dienst an Königin und Vaterland abgeleistet. Sie sehen aus wie ein geschorenes Schaf.« Sie lehnte sich tiefer in die Polster. »Habe ich recht, Darling?«
    »Vollkommen«, bekannte er.
    »Jetzt ich.«
    »Sie?«
    »Ja, ich«, gab sie geduldig zurück.
    Er starrte sie an. So nahe bei ihr, konnte er erkennen, daß sie einige Jahre älter war als er, aber das konnte man schließlich nicht sagen. Darum begann er einfach wild draufloszuphantasieren. »Sie sind die Tochter eines schottischen Barons. Sie sind in einem zugigen alten Schloß in den Highlands aufgewachsen.
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