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Das dunkle Fenster (German Edition)

Das dunkle Fenster (German Edition)

Titel: Das dunkle Fenster (German Edition)
Autoren: Andrea Gunschera
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Oder vermuteten es wenigstens. Warum sonst hatten sie Kusowjenko erschossen? Weil sein Wissen einen Erdrutsch auslösen konnte. Er hatte mindestens fünf Minuten mit Nikolaj geredet. Sie mussten das Schlimmste annehmen. Sie waren verrückt, wenn sie es nicht taten. Und wenn sie dann die Ausrüstung bei Nikolajs Leiche fanden, mussten sie davon ausgehen, dass jemand mitgehört hatte. Damit war sie wieder im Spiel.
    „Scheiße“, sagte sie in den Raum hinein.
    Sie musste sich jetzt um sich selbst kümmern. Fiebrig ging sie ihre Optionen durch. Katzenbaum kam nicht in Frage. Er war eingeweiht, er gehörte zu Cohen. Da konnte sie genauso gut mit erhobenen Händen zur israelischen Botschaft gehen und ihren Namen nennen. Rafiq? Sie schwankte. Eigentlich konnte sie sich nicht vorstellen, dass er sie verkaufen würde. Rafiq wollte sie immer noch zurück – das hatte er in Beirut deutlich gemacht. Aber sie war es, die sich dagegen sträubte. Sie wollte ihn nicht kontaktieren, sie wollte sich nicht in eine Situation bringen, in der sie seine Hilfe brauchte und ihm später etwas schuldig war. Das war persönlich motiviert und unprofessionell, aber sie konnte es einfach nicht. Wer noch?
    Plötzlich kam ihr eine Idee, die so einfach war, dass sie es selbst kaum glauben konnte. Diese Leute wollten unbedingt ihr Geheimnis schützen. Aber was, wenn es kein Geheimnis mehr gab? Was, wenn sie die ganze Welt zu Mitwissern machte?
    „Oder geht’s dir um Carmen?“
    Rafiq antwortete nicht. Er starrte in die Mündung der Waffe.
    „Was war zwischen euch?“, fragte Nikolaj. Er spürte, wie Groll in seiner Kehle hochstieg.
    „Ich liebe sie“, murmelte Rafiq. Sein Blick hob sich, verharrte. Sein Tonfall veränderte sich. „Und sie liebt mich. Ich werde nicht zusehen, wenn ihr etwas passiert.“
    Der Groll vertiefte sich, fing Feuer, verwandelte sich in ziellose Wut.
    „Das“, knurrte Nikolaj, „kommt ein bisschen spät.“
    Seine Finger verkrampften sich. Er verspürte den überwältigenden Wunsch, einfach abzudrücken. Ein Luftstrom baute sich auf, dann das Geräusch des sich nähernden Zuges. Etwas in seinem Inneren begann zu reißen. Dunkelheit strömte in die aufklaffende Lücke.
    „Warum“, fragte er heiser, „hast du zugelassen, dass sie sie zu mir schicken?“
    Schweigend schüttelte Rafiq den Kopf.
    Nikolajs Stimme brach. „Warum habt ihr sie nicht von mir ferngehalten?“
    Die U-Bahn fuhr ein. Nikolaj warf einen schnellen Blick hinter sich. Die Türen blieben geschlossen. Niemand stieg aus. Die Uhr über der Digitalanzeige stand auf viertel vor sieben.
    Erschöpft stieß er den Atem aus. Der Zorn sackte in sich zusammen und verlor sich irgendwo in froststarrer Leere. Er ließ die Waffe sinken. Kaum nahm er das Misstrauen wahr, das sich auf Rafiqs Züge malte. Er versuchte sich auf eine Erinnerung zu konzentrieren, eine kleine Bemerkung, die Rafiq während des Verhörs am Vorabend gemacht hatte.
    „Woher wusstet ihr von dem Treffen?“, hörte er sich selbst fragen. Er hatte Katzenbaum diese Frage gestellt, und keine befriedigende Antwort erhalten. Plötzlich war es wieder präsent.
    ‚Sie hätte dort sein sollen.’ Das waren Rafiqs Worte gewesen. Er dachte daran, wie seltsam sie sich verhalten hatte, auf dem Parkplatz in Miada Boleslav. Und später dann in diesem Café an der Museumsinsel. Sie hatte schuldbewusst gewirkt, beinahe ertappt, aber Nikolaj hatte es als Nervosität interpretiert. Nervosität im Angesicht des bevorstehenden Treffens.
    Es war ein Schuss ins Blaue. „Sie hat euch angerufen, habe ich recht?“ Wie einfach das klang. Er spürte, wie etwas in ihm zerbrach, als Rafiq nickte.
    „Wie lange?“, fragte Nikolaj. Er versuchte nicht länger, eine Maske zu wahren. Plötzlich war ihm gleichgültig, was er preisgab.
    „Was?“
    „Du und Carmen.“
    „Oh.“ Verstehen glimmte in Rafiqs Augen. Dann lächelte er verkniffen. „Acht Jahre.“
    „Und ist sie glücklich damit?“
    „Ja. Ich denke ja.“
    Der Name des Mannes war Peter Schöller. Carmen schrieb ihn ganz oben auf das Blatt Papier, direkt unter den Briefkopf des Hotels. Sie hatte seine Telefonnummer nicht mehr, aber das war ein lösbares Problem. Montagmorgen würde sie in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung anrufen und sich zu ihm durchstellen lassen. Oder sich seine Mobilnummer geben lassen. Je nachdem. Möglicherweise erinnerte er sich nicht an sie. Sie hatten eine kurze Affäre miteinander gehabt, ein paar Wochen, nachdem sie Rafiq
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