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Das dunkle Fenster (German Edition)

Das dunkle Fenster (German Edition)

Titel: Das dunkle Fenster (German Edition)
Autoren: Andrea Gunschera
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Druck.
    „Leben Sie wohl“, sagte er. „Und vergessen Sie nicht ...“
    „Ich weiß.“
    Nikolaj stieg die Stufen hinab, mechanisch einen Fuß vor den anderen setzend. Auf halber Höhe blieb er stehen und drehte sich um. Er konnte sehen, wie der Israeli hinter der Straßenecke verschwand. Ein einsamer Wagen näherte sich und verklang wieder in der Ferne.
    Sein Kopf war angefüllt mit Leere, die Stille voller Echos. Blicklos starrte er hinaus in den Regen. Dann, mit einem Ruck, setzte er sich wieder in Bewegung. Die Luft war von Feuchtigkeit gesättigt, es stank nach Urin. Flackerndes Neonlicht erhellte die Kacheln. Nikolaj suchte seine Taschen ab, während er die Treppe betrat, die hinunter zu den Gleisen führte. Sie hatten ihm die Waffen abgenommen, aber in der Innentasche seiner Jacke steckten noch immer seine Papiere.
    Nur zögernd tastete er sich zurück in die Realität. Das Gefühl der Unwirklichkeit hielt an. Er dachte, dass er sich schnellstmöglich einen neuen Pass besorgen musste. Wenn sie seine Sachen durchsucht hatten, und davon ging er aus, dann war die Giacomo Sebastiano-Identität nicht mehr sicher. Sein Verstand klärte sich. Es half ihm, sich auf operative Details zu konzentrieren. Er würde die Kreditkarte nutzen, um soviel Bargeld wie möglich abzuheben, und dann musste er jemanden finden, der ihm neue Papiere machen konnte. Und dann ...
    Seine Gedanken schweiften wieder ab. Er warf einen Blick auf die Digitalanzeige. U7 Richtung Rudow in zwölf Minuten. Während er langsam den Bahnsteig hinunter ging, fragte er sich, ob er manipuliert worden war. Ob es etwas gab, das er übersehen hatte. Er blieb stehen und drehte sich um. Sein Blick schweifte über den verlassenen Korridor. Dann dachte er an Carmen. Und fühlte plötzlich überwältigende Leere. Kälte kroch seine Arme hinauf und sickerte tiefer und es half nicht, dass er die Jacke enger um sich zog.
    Er fuhr nur drei Stationen weit. Als Nikolaj seinen Wagen an der Station Möckernbrücke verließ, um in die S-Bahn umzusteigen, entdeckte er keinen weiteren Menschen. Sonntag. Wochenende. Die Uhr über der Digitaltafel zeigte halb sieben. Kurz studierte er die Beschilderung; dann drehte er sich um und steuerte zum Ausgang. Sein Körper begann sich zu entspannen, die Muskeln wollten sich der Müdigkeit ergeben, die die ganze Zeit am Rand seines Bewusstseins lauerte. Nikolaj presste seine Fingerspitzen gegen die Schläfen. Er brauchte dringend ein paar Stunden Schlaf.
    Zu spät realisierte er eine Bewegung im Augenwinkel. Seine Reflexe ließen ihn im Stich. Etwas Kaltes berührte ihn im Nacken und er wusste, dass es die Mündung einer Pistole war.
    „Runter auf die Knie.“
    Der gemurmelte Befehl ging halb unter im Geräusch des anfahrenden Zuges.
    Carmen hatte das Radio eingeschaltet und lauschte den Nachrichten, während sie auf dem Bett lag und an die Decke starrte. Ihre Augen waren rot und geschwollen, obwohl sie ein paar Stunden geschlafen hatte. Die Digitalziffern auf dem Wecker zeigten sieben Uhr zweiunddreißig. Regen lief in breiten Schlieren über die Fensterscheiben. Draußen dämmerte träge ein bleifarbener Morgen herauf.
    Der Sprecher berichtete über die Haushaltsdebatte im Berliner Senat, über die bevorstehende Bundestagswahl, über ein Unwetter, das Teile von Südbayern verwüstet hatte. Aber nichts über die Schießerei auf der Museumsinsel. Es war, als hätte sie sich alles nur eingebildet. Dabei hatte sie gesehen, wie Kusowjenko unter den Schüssen zusammengebrochen war und wie sie später seine Leiche weggetragen hatten. Sie dachte an Nikolaj, an seine verzerrte Stimme, seine letzte Meldung durchs Funkgerät.
    ‚Es ist alles okay.’
    Nichts ist okay, wollte sie schreien, aber sie fürchtete das Echo der leeren Zimmerwände. Fest biss sie sich auf die Lippen, bis sie zu bluten begannen.
    Wie Donner krachte der Schuss in die Stille. Er brach sich an den glatt gekachelten Wänden und hallte die Stufen hinauf.
    Ein Penner, der am oberen Ende der Treppe Zuflucht vor dem Regen gesucht hatte, schrak auf und flüchtete zum Aufgang. Die Zeiger der Bahnsteiguhr rückten mit einem hörbaren Klack vor.
    Als Katzenbaum die sichere Wohnung betrat, stand Tal in der Küche, den Rücken zur Tür, und starrte rauchend hinab in den Regen.
    Der Katsa warf einen Blick ins Wohnzimmer, dann in die anderen Räume. Auf dem Flurboden klebte eingetrocknetes Blut.
    „Wo ist Rafiq?“
    Tal wandte sich um. Er zuckte mit den Schultern. Katzenbaum
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