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Das Dach kommt spaeter

Das Dach kommt spaeter

Titel: Das Dach kommt spaeter
Autoren: Murat Topal
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Mitte November, und das Wetter ist nahezu frühlingshaft. Die Regenzeit hat sich in Richtung Amazonas verzogen, die Sonne scheint und bringt die Vögel zum Zwitschern. Erschöpft sinke ich auf einen der nagelneuen Teakterrassenstühle und parke meine dreckigen Arbeitsschuhe auf dem Teaktisch. Ich greife mir eine der in der Kühltasche stehenden eiskalten Limodosen und schütte den Inhalt gierig in mich hinein. Gleich kommen die Gäste, denn heute ist Einweihungsparty.
    An meinen Händen trocknen noch Reste vom Estrich; die letzten Steine für die Garageneinfahrt sitzen erst seit einer Viertelstunde an Ort und Stelle. Ich habe außerdem den Sandkasten aus alten Bahnbohlen aufgebaut und die Schaukel, die ich bestellt hatte, zusammengeschraubt und einbetoniert. Nur den Rasen zu mähen habe ich beim besten Willen nicht mehr geschafft. Aber darauf kommt es wirklich nicht an.
    Vorgestern habe ich mich endlich getraut, Ann-Marie anzurufen. Um die Wahrheit zu sagen, lief das Gespräch nicht wie geplant. Sagte ich geplant? Da mich die Muse trotz aller Bemühungen nicht küssen wollte, legte ich mir lediglich ein paar Eingangssätze zurecht und verließ mich ansonsten auf meine bühnengestählte Improvisationsgabe.Kaum hörte ich zum ersten Mal seit Wochen Ann-Maries Stimme, waren nicht nur die sorgsam gedrechselten Eingangssätze weg, sondern vor allem jegliche Intuition. Von meinen Gefühlen überwältigt, blieb ich stumm wie eine Makrele im Tiefkühlfach.
    »Murat? Ist was passiert?«
    »Äh«, ich bemühte mich krampfhaft, meine am Gaumen klebende Zunge frei zu bekommen. »Ääääähhhh.«
    »Murat? Bist du krank?«
    »Anmaie, ilibedisch.« Dieser verdammte Sprechlappen. Jahrzehntelang funktioniert er wie geschmiert, und im entscheidenden Moment pappt er hoffnungslos fest.
    »Murat! Hast du getrunken?«
    Das war ja nun die absurdeste Unterstellung von allen. Ich, der ich dem Alkohol nie auch nur den kleinsten Finger gereicht hatte, ein lallender Säufer? Mit roher Gewalt versuchte ich ein letztes Mal, meine Zunge zu lösen.
    »Ann-Marie, ich liebe dich!!!«
    Zu spät! Das Freizeichen war nicht die von mir erhoffte Antwort. Ich startete einen zweiten, dritten, vierten Versuch, landete aber jedes Mal auf ihrer Mobilbox. Also gut, wenn sie es denn so wollte. Ich hinterließ drei gleichlautende Nachrichten: »Ohne dich und die Kleinen kann ich nicht leben. Bitte komm zurück, sonst muss ich Kosewitz heiraten.«
    »Herr Topas, Sie müssen noch dit Essen abschmecken.«
    Ich zucke zusammen.
    »Kosewitz! Wieso sind Sie nicht im Keller?«
    »Na, Sie sind ja n Spaßvojel. Wie soll ick n dort kochen?«
    Stimmt, ganz vergessen. Mein ehemaliger Bauleiter hat sich für das Fest als Küchenchef verdingt. Wahrscheinlich aus Dankbarkeit, weil er bis auf weiteres in meinem Keller wohnen darf. Ich kann nicht anders, ich bin einfach zu gutmütig.
    »Wat isn nu mit Abschmecken?«
    Ich folge ihm in die frisch installierte Einbauküche, die in Ann-Maries Lieblingsfarbe – Dottergelb – erstrahlt, und stelle nach dem Probieren seiner diversen Tapas fest, dass er ein erheblich besserer Küchen- als Bauchef ist.
    »Freut mir, Herr Topas. Ick war ma blinder Passagier uffm spanischen Frachter, und da hab ick mir n bisschen wat abjeguckt.«
    Es ist so absurd. Ich blicke aus der Küche in den Garten. Der Park meiner erträumten Jugendstilvilla war zwar erheblich größer, doch die Grünfläche hier ist auch nicht zu verachten. Nur: Was soll ich allein in Beverly Britz? Ich bin Familienmensch. Als Single bin ich ein klägliches Auslaufmodell.
    Ann-Marie hasst nackte Wände, deshalb war ich gestern für den Fall des Falles noch Bilder einkaufen. Trotz meiner Zeichenleidenschaft habe ich keinen Sinn für Malerei und steuerte also den nächsten Postershop an, um mich beraten zu lassen. Da die einzige Ladenkraft in ein Verkaufsgespräch verstrickt war, stöberte ich auf eigene Faust ein wenig herum und vertiefte mich in einen Kalender zum Thema Bauhaus-Architektur. Plötzlich zwickten sie mich wieder: die Hummerscheren, die mich einst am Hebbel-Stand aufgeschreckt hatten. Dieses Bauhaus-Modell da, war das nicht mein Grundriss? Oder war es »Domus«? Oder waren mein Grundriss und »Domus« einfach nur Variationen dieses Bauhaus-Entwurfes? Und wollte ich das überhaupt noch so genau wissen?
    Die wechseljahrgefährdete Inhaberin, klarer Fall von »Ich bin geschieden und verwirkliche mich jetzt selbst«, die sich in diesem Moment nach meinen Wünschen
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