Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Dach kommt spaeter

Das Dach kommt spaeter

Titel: Das Dach kommt spaeter
Autoren: Murat Topal
Vom Netzwerk:
Raddampfer mutiert. Vor ohnmächtiger Wut schoss mir das Wasser auch in die Augen. »Was jetzt?«, fragte ich ratlos in die Runde.
    »Ick hab Se oft jenug vor dem Riss im Fundament jewarnt! Se wollten ja nich hören. Na, wenigstens brauchen Se keen Pool mehr im Jarten.«
    Ich überlegte kurz, ob ich Kosewitz die Kellertreppe herunterstoßen und es wie einen Unfall aussehen lassen konnte, verwarf die Idee aber als zu risikoreich.
    »Musst du holen Architekt, Murat.«
    Da war es wieder, das absolute Tabu, der No-go-Vorschlag. Nach all den Monaten nervenaufreibender Baufrontscharmützel war ich jedoch zu zermürbt, um noch etwas auf meinen männlichen Stolz zu geben. Ich zückte mein Handy.
    »Herr Pfleiderer, ein Notfall. Können Sie bitte so schnell wie möglich nach Britz kommen?«
     
    Zwei Stunden später schüttelte die akademische Doppelbegabung ihre weiße Mähne.
    »Ich fasse es nicht. Bin ich eigentlich als Architekt oder Anwalt hier? Arbeit gäbe es für beide.«
    »Herr Pfleiderer, walten Sie einfach all Ihrer Ämter. Ich habe keine Kraft mehr«, hisste ich die weiße Fahne der Kapitulation.
    »Gut, ich interpretiere das als Generalmandat. Fangen wir mal ganz vorn an: Wer hat für Sie das Bodengutachten erstellt?«
    »Ein Herr Marvin, Firma Schmuh & Sohn.«
    »Schmuh & Sohn? Nie gehört. Vertrauenerweckender Name.«
    »Experten für Gleis- und Brückenbau«, versuchte ich, aus mir selbst nicht verständlichen Gründen, die mehr als zweifelhafte Ehre des Unternehmens zu retten.
    Pfleiderer sah mich an, als hätte ich nicht mehr alle Latten am Bauzaun. »Gleis- und Brückenbau? Na, das erklärt einiges. Hatten Sie nicht erzählt, Sie arbeiten mit der Firma Hebbel-Haus zusammen?«
    »Die sind futschikato, pleite, kaputt«, meldete sich mein Bauleiter an dieser Stelle mit einem qualifizierten Beitrag.
    »Darf ich bitte fragen, wer genau Sie sind?« Pfleiderer musterte ihn, als wäre er eine Kreuzung aus Kakerlake und Pavianhoden.
    »Kosewitz mein Name. Ick bin der Bauleiter vom Herrn Topas.« Zwecklos, ihn zu korrigieren. In diesem Leben würde er es nicht mehr lernen.
    »Reden Sie in Zukunft bitte nur, wenn ich Sie anspreche. Das wird angesichts der hier auf den ersten Blick erkennbaren, sehr zahlreichen Mängel sicher häufig der Fall sein. Zum Beispiel jetzt. Mich würde nämlich brennend interessieren, welche Ausbildung Sie eigentlich genossen haben?«
    »Ausbildung? Na ja, ick, äh, war in Köpenick, beim Bezirksamt, äh, und Makler und so wat.«
    »Soso. Und was haben Sie gelernt?«
    »Herr … äh … Tut ma leid. Dit viele Wasser hier. Is ja ekelhaft. Ick kann nich mehr, ick jeh erst ma Sssijaretten holen.«
    »Bevor Sie meine Frage nicht beantwortet haben, gehen Sie nirgendwohin. Was haben Sie also gelernt?«
    Pfleiderer konnte in seinen Kreuzverhören wirklich grausam sein. Ich hatte es ja am eigenen Leibe erfahren, weswegen ich Kosewitz aus purer Gutmütigkeit zu helfen versuchte. »Sie haben mir bei unserem ersten Treffen doch erzählt, dass Sie Beamter in Köpenick waren.«
    »Beamter. Nun jut, dit is ja n irre weiter Begriff. Ick war halt beim Bezirksamt.«
    Auf diese Aussage schien Pfleiderer nur gewartet zu haben. Genüsslich packte er diverse Folterwerkzeuge aus, um sie seinem Opfer zu zeigen.
    »Da haben wir also als Erstes einen Verstoß gegen Paragraph einhundertzweiunddreißig Strafgesetzbuch: ein klarer Fall von Amtsanmaßung. Dafür gehen Sie schon mal bis zu zwei Jahren in die Zelle. Obendrauf kommen all die Verbrechen an den Regeln der Baukunst, die sich hier vor meinen Augen auftun. Ich rate Ihnen: Wenn Sie Ihre Haut retten wollen, kooperieren Sie. Ein letztes Mal: Was haben Sie gelernt?«
    »Na ja, wenn Se mir so direkt fragen, denn sach ick ma so: allet und nüscht.«
    »›Alles‹ streichen wir, bleibt ›nichts‹. Und was haben Sie als Ungelernter beim Köpenicker Bezirksamt getrieben?«
    Kosewitz druckste einen Moment herum und nuschelte dann: »Portier.«
    »Portier? Sie meinen ›Pförtner‹. Das ist ein kleiner, aber wichtiger Unterschied. Ich konstatiere: der Planer und Bauherr ein ehrgeiziger Amateur, die Baufirma ein Bankrotteur, der Bodengutachter offenbar ein Saboteur, der Subunternehmer ein Gleisbauer und der Bauleiter ein ungelernter Gelegenheitsarbeiter. Es scheint fast das achte Weltwunder, dass dieses Gebäude noch nicht mit Pauken und Trompeten eingestürzt ist. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Gut, beginnen wir mit den Aufräumarbeiten. Als Erstes, Herr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher