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Das Dach kommt spaeter

Das Dach kommt spaeter

Titel: Das Dach kommt spaeter
Autoren: Murat Topal
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sogar zu Ergebnissen führen. So auch dieses Mal.
    »Junge«, nahm mein Vater mich am Ende eines unserer vielen langen Arbeitstage in den Arm, »fehlt fast nur noch Dach.«
    Das war so wahr wie ärgerlich. Seit Wochen vertröstete uns die zuständige Dachdeckerfirma Himmelszelt mit der immer gleichen E-Mail:
     
    Sehr geehrter Herr Topal,
    aus betriebstechnischen Gründen kommt das Dach leider später.
    Hochachtungsvoll
    Himmelszelt
     
    Das stimmte mich immer skeptischer, und seit einiger Zeit hatte ich begonnen, Alternativen zu herkömmlichen mitteleuropäischen Hausdächern in Erwägung zu ziehen. Die von den Polen festgetackerte Dachfolie hatte sich durchaus bewährt, und von Stroh- bis zu dauerhafter Planenabdeckung schien zumindest theoretisch vieles möglich.
    Baba scherte sich im Gegensatz zu mir nicht sonderlichum das fehlende Dach. »Ist Zeit zu feiern. Kannst du bald einziehen.«
    »Muss ich ja auch. In drei Wochen läuft in Neukölln die Kündigungsfrist ab«, fauchte ich.
    Das war zwar korrekt, aber im Nachhinein denke ich, dass ich mich Baba gegenüber ruhig ein wenig dankbarer hätte zeigen können. Schließlich war er es, der in den vielen Tagen meiner berufsbedingten Abwesenheit die Baustelle fast allein am Laufen hielt. Und der regelmäßig Helfer aus seinem Verein engagierte, die im Gegensatz zu Gerd auch tatsächlich Einsatz zeigten. Nicht zu vergessen all die Murat-Aktien-Käufer und sonstigen Geldgeber, die er in mühevoller Überzeugungsarbeit akquiriert hatte. Aber wenn es um das Zeigen von Gefühlen ging, blieb ich meinem Vater gegenüber befangen. Ich beließ es bei einem burschikosen Schulterklopfen, rang mir aber immerhin ein schüchternes »Danke für all deine Hilfe, Baba« ab.
    »Musst du Ann-Marie anrufen. Ist Haus für Familie.«
    »Hast du nicht immer die Ansicht vertreten, dass man als Mann nicht klein beigeben darf?«
    »Ja, ja. Aber am wichtigsten, Junge, ist: Mann muss machen Frau glücklich.«
    Na toll, woran sollte man sich im Leben eigentlich noch halten, wenn selbst der eigene Vater einem kein klares Wertesystem mehr vermitteln wollte?
    Aber hartnäckig zu bleiben und auf Ann-Maries Kniefall im Büßerhemd zu warten schien in der Tat weder eine kluge noch eine erfolgversprechende Strategie zu sein. Zum einen wusste ich aus langjähriger Erfahrung, was für eine unglaublich sture Person die geborene Frau Häberle sein konnte; zum anderen wurden meine Entzugserscheinungen immer dramatischer. Erst in der letzten Nacht hatte ich auf meiner Couch die Bettdecke für meine Frau gehalten undwar von meinen eigenen »Ann-Marie«-Seufzern wach geworden.
    »Sajen Se mal, Herr Topas«, mokierte sich Kosewitz, der in einem Cord-Schlafanzug in der Tür zwischen Schlaf- und Wohnraum aufgetaucht war, »können Se Ihr Liebesjeturtel nich wie jeder anständje Mensch intim abwickeln? So wat hab ick ja noch nie erlebt.« Sprach’s und verschwand kopfschüttelnd in meinem Ehebett. Bei der Gelegenheit entdeckte ich, dass seine Haare nachts knalleng am Schädel klebten. Vielleicht steckte er morgens tatsächlich den Finger in die Steckdose? Ich griff mir Stift und Zettel, die zum Festhalten spontaner Einfälle immer neben meiner Schlafstatt liegen, und notierte
K. morgen rausschmeißen.
War das herzlos? Ich strich es durch und milderte ab in
K. erinnern, dass er in drei Wochen obdachlos ist
.
    Auch unter rhetorischen Gesichtspunkten war das Timing für einen Versöhnungsversuch ideal. Die alte Miniklitsche kurz vor der Räumung, das neue Prachthaus kurz vor der Fertigstellung: Da konnte man gut an die schönen gemeinsamen Tage erinnern und zukünftige noch schönere Zeiten ausmalen.
    Seit ihrer überstürzten Abreise aus Fuerteventura hatte sich Ann-Marie strikt geweigert, Anrufe von mir entgegenzunehmen. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ich hatte es auch nur ein einziges Mal versucht – als nämlich die frohe Botschaft von der Abwendung der Räumungsklage kam. Ansonsten beschränkte ich mich darauf, einmal täglich die Schwiegereltern anzurufen und mich zunächst an Ayla weiterreichen zu lassen, die abwechselnd lautmalerisch brabbelte oder mir lauthals ins Ohr schrie. Nach ihr kam Levin an den Apparat, dessen erste Frage immer war: »Babu, wann können wir wieder nach Hause?« Das brach mir das Herz, und ich musste jedes Mal die Tränen unterdrücken.
    Wie ich von Frank wusste, hatte Ann-Marie ihm erzählt, dass sein Vater ein neues Bühnenprogramm schrieb und deswegen eine Zeitlang seine Ruhe
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