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Das Buch der Schatten - Verwandte Geister: Band 8 (German Edition)

Das Buch der Schatten - Verwandte Geister: Band 8 (German Edition)

Titel: Das Buch der Schatten - Verwandte Geister: Band 8 (German Edition)
Autoren: Cate Tiernan
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Gut und Böse richten, nicht der Mensch! Kann ihre Seele nicht gerettet werden? Kann niemand sie zur Freude des Herrn bringen? Es wäre möglich, wenn sie lebte – das müssen sie doch begreifen, Colin!
    Ich bin außer mir vor Sorge, seit ich die Nachricht erhalten habe (eine Nachricht, die ich gewiss nicht erfahren sollte). Ich kann nicht begreifen, dass ihr Schicksal am Brandpfahl enden soll. Und was wird aus dem Kind? Ich flehe Dich an, schicke nach Barra Head und erkundige Dich. Ich weiß nicht, wie das Kind heißt, und kann auch nicht bestätigen, ob es noch lebt. Aber versuch es, um meiner armen Seele willen.
    Voller Unruhe erwarte ich Deinen nächsten Brief.
    – Simon Tor an Colin, Oktober 1771
    Beute. O Gott. Mich überkam ein Hunger, der so stark war, dass er mich schier überwältigte. Die reine Blutlust, das Bedürfnis eines Tieres, zu töten oder getötet zu werden, zu jagen oder gejagt zu werden. Ich war ein Raubtier – stark und zum Töten bestimmt –, und bei dem Gedanken an Beute krampfte mein Magen vor Erwartung. Ich leckte meine Lippen, atmete tief ein und sog den köstlichen Geruch in mich ein. Er war fast vertraut, ein wunderbarer, verrückt machender Duft, dem ich nachgehen musste, ob ich wollte oder nicht.
    Ohne auf meinen Vater zu warten, folgte ich der Spur der Beute, meine Füße – Pfoten – bewegten sich rasch und lautlos über den unebenen Waldboden. Beute, Beute, dachte ich. Meine Beute. Der Duft fegte durch den Wald, berührte einen Baumstamm, strich über Blätter auf dem Boden, an dem Stechpalmenstrauch mit seinen glänzenden dornigen Blättern vorbei. Manchmal machte die Spur kehrt, und ich umkreiste frustriert Bäume, bis ich eine Fährte fand, die ein wenig neuer war, ein wenig stärker. Dann lief ich weiter, bewegte mich wie ein Gespenst durch die Dunkelheit, filterte tausend andere Düfte aus: Baum, Lehm, Schimmel, Vogel, Insekt, Reh, Hase. Ich war ganz auf den einen Duft konzentriert, den einen verlockenden Duft, bei dem mein Mund – meine Schnauze – vor Verlangen schmerzte.
    Ich war mir des anderen Wolfs kaum bewusst – des Schwarzgrauen, der hinter mir hertrottete –, ich konnte seine Atemzüge nicht hören, und seine Pfoten bewegten sich lautlos.
    Dann bog ich scharf rechts ab und plötzlich war der Geruch ganz nah und viel stärker. Ich jaulte beinahe vor Aufregung. Bald. Nah. Mein. In der nächsten Sekunde erstarrte ich: Da war sie! Der Geruch umspülte mich jetzt, die ganze Luft war erfüllt davon. Sie war nah. Mit jedem Atemzug sog ich die bevorstehende Siegesfreude über ein geringeres Wesen in mich ein. Das war weit mehr als Hunger, als Verlangen, als Wollen. Das Wasser lief mir im Mund – in der Schnauze – zusammen, meine Augen durchbohrten die Nacht. Als der andere Wolf lautlos neben mir stehen blieb, ließ ich den Blick durch den Wald schweifen. Baum für Baum für Baum für Strauch für Strauch … Sie war nah. Sie war in Reichweite.
    Dort! Dort, gut zehn Meter weit weg. Mein bewegliches Ziel, meine Bestimmung, mein Schicksal. Meine Beute. Sie bewegte sich von mir fort, hinterließ eine deutliche Spur, der ich folgen konnte. Ich lächelte. Ohne nachdenken zu müssen, zogen sich meine Muskeln zusammen und explodierten, und ich stürzte in die Nacht. Die Entfernung zwischen uns wurde rasch kleiner. Ich spürte einen intensiven, deutlichen Hunger, das Bedürfnis, meine Beute zu reißen, meine scharfen Zähne in ihr Fleisch zu schlagen und das frische, heiße, metallene Blut zu schmecken. Ich winselte vor Verlangen und stürzte weiter.
    Ein Satz noch, dann würde ich sie reißen. Mein Gewicht würde sie zu Boden schmeißen; sie wäre verängstigt und durcheinander, ich würde in ihre Kehle beißen und nicht loslassen … Die Beute wandte sich um und sah mich auf sie zustürzen. Dann schoss sie los, fort von mir, lief im Zickzack, duckte sich unter Ästen, krachte mit so viel Lärm durchs Unterholz, als würden ganze Bäume zu Boden stürzen.
    Ich lief hinterher, folgte den Spuren ihrer warmen Pfotenabdrücke, ihrem Duft, jetzt mit Angst durchsetzt, den sie hinter sich herzog. Mein Atem ging stoßweise, meine schlanken Flanken pumpten kräftig Sauerstoff in mein Blut, mein unglaublich starkes Herz pumpte frisches Blut durch meine Venen.
    Ich war froh, dass meine Beute die Jagd eröffnet hatte – zu einfach sollte es nicht sein. Ich ahnte den anderen Wolf hinter mir, und ich spürte, dass er es genauso genoss wie ich. Ich entdeckte eine Vertrautheit in
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