Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest
Autoren: Martin Mosebach
Vom Netzwerk:
feuerwerkshaft durchblitztes Licht auf ihre Umgebung. Als Bekrönung stand sie auf dem höchsten Punkt des Zeltdachs. Und nun strahlte es auch warm aus den Fenstern, hellgelb-rot-orangefarbene Rechtecklein illuminierten das Haus von innen. Es hatte sich in einen riesigen Ofen verwandelt, einen Ofen, der sich selbst verzehren würde, aber das brauchte Zeit. Dies Haus bot dem Feuer für viele Stunden Nahrung. Anna wandte sich ab von diesem Bild und mußte laufen, um den Anschluß an den Zug ins Dunkle zu finden. Das war für Tage das letzte, was Ivana von ihrer Familie hörte.
    Es spricht vielleicht nicht für meine Empfindsamkeit, aber ich genoß das Fest immer mehr, je länger es dauerte und je tiefer ich in es eintauchte. Was mochte das sein – der Stand des die ganze Nacht hinter Wolken verborgen bleibenden Mondes und der ebenso unsichtbaren Sterne? Die roten und weißen Lichtpünktchen der über uns schnurgerade ihre Route verfolgenden Flugzeuge vertraten am Himmel zeitgenössisch angemessen die Sternbilder. Die Mischung der Gäste, das Chaos der Überfüllung, das frühe Angesäuseltsein, dies alles zusammen bewirkte in mir eine Bewegung, die die Last aus Trauer und Frustration und Verärgerung – Winnies Tod und das Platzen der Mestrovic-Ausstellung hatten eine fatale Mischung aus großem Unglück und verstimmter Enttäuschung entstehen lassen – von mir wegschob. Wie lange hatte ich nicht mehr getanzt? Jetzt tanzte ich wie ein Brummkreisel, überließ mich dem exhibitionistischen Vergnügen, mir groteske oder laszive Figuren einfallen zu lassen, die Tanzerei zu ironisieren und sich ihr zugleich hemmungslos hinzugeben. Die Mädchen blieben nicht lange bei mir. Ich versuchte auch nicht, eines festzuhalten. Es war, als spürten sie alle, daß mein Interesse in eine bestimmte Richtung ging, daß ich eine ganz bestimmte Frau im Auge hatte, und so war es auch. Sie tanzte in der Ferne, war dann wieder verschwunden, dann plötzlich mit einem anderen Tänzer unterwegs. Sie machte es offenbar wie ich, sie legte sich nicht fest. Es ist mir ohnehin zutiefst unverständlich, was verheiratete oder glücklich liebende Leute auf einem Tanzfest oder in einer Diskothek suchen, wo der ganze Reiz solcher Veranstaltungen doch ausschließlich darin besteht, daß man nicht weiß, in wessen Gesellschaft man sie verlassen wird oder ob die Jagd ergebnislos bleibt.
    Die Frau, die ich im Auge hatte, kannte ich und kannte sie nicht. Ich hatte sie in Rotzoffs Gesellschaft gesehen, das große, geradezu bedrückend, geradezu in Verlegenheit setzende schöne Mädchen, das unter seiner Schönheit gebeugt ging, als sei sie sich einer Schuld bewußt. Sie trug unter ihrer engen bemalten Bluse einen sehr kurzen Rock, aus türkisem Schlangenleder, und ihr Tanz hatte gleichfalls etwas von den Windungen einer sich häutenden Schlange; das Mädchen ließ etwas hinter sich, obwohl es den Rock doch anbehielt. Ich frage mich heute, welchen Anteil an meinem Interesse hatte, daß dies Mädchen Rotzoffs Freundin gewesen war, womöglich gar die unmittelbare Vorgängerin von Winnie; und irgendwer – Merzinger? – hatte sogar behauptet, Rotzoff sei nach dem Winnie-Ausflug zu ihr zurückgekehrt, ohne sich freilich an diesem Abend weiter um sie zu kümmern. Es mag sein, daß ich mich zuweilen unfreundlich über Rotzoff geäußert habe, deshalb macht mich die Beobachtung nachdenklich, daß ich, was Frauen anging, offenbar denselben Geschmack bewies. Gab es am Ende noch mehr Gemeinsamkeiten? Hatte sie sich womöglich auch schon gefragt, ob es da eine geheime Zwangsläufigkeit gebe, daß Winnies Verehrer auch die ihren sein mußten?
    Renate hieß sie; ich erfuhr das erst aus ihrem Mund, Reni ließ sie sich nennen, auch hierin lag eine Verkleinerung, so kam mir vor, der unbeholfene Versuch, ihre strahlende, unproblematische Schönheit zu dämpfen. Die Markies sprach von »spießiger Hübschheit«, natürlich mußte sie etwas Bösartiges sagen. Was sie damit vielleicht meinte: daß diese Schönheit ohne Biß war; aber mußte es denn immer auf ein Fetzen und Reißen herauslaufen? Bei ihr jedenfalls nicht einmal, wenn Rotzoff sie schlecht behandelte. Sie gab dergleichen nicht zurück, die Bosheit und Gemeinheit verzischte bei ihr wie eine auf dem Erdboden herumsausende Rakete.
    Wir fanden sehr spät zueinander, erst in der Auflösungsphase des Festes, als die Jugendhorde das geladene Publikum schon weitgehend hinausgeekelt hatte. Wir hatten beide viel Wein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher