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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest
Autoren: Martin Mosebach
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häßliche Künstlichkeit können die Sonne und das von ihr erneuerte Meer sich anverwandeln. Sehr kurz ist es wirklich einmal weinfarben. Das Elend ist ein Erbe der Nacht, kraftlos, die rotflammende Hoffnung der Gegenwart zehrt es auf. Dann steigt die Sonne höher, sie wandert über die Palmwipfel, und nun gießt sich wieder die Objektivität gleichmäßig überhellen Tageslichts über das Schöne und das Häßliche.
    Doktor Glücks Garten lag nicht an einem solchen tropischen Meer, aber der Sonnenaufgang, den Ivana auf der Terrasse weniger beobachtete als über sich ergehen ließ, hatte etwas von tropischer Gewalt. Die feuchte Luft ließ das Laub der Blutbuche satter werden. Ihr Rot stand auf samtschwarzem Grund. Das Gras, so niedergetrampelt es war, funkelte in tausend Tautröpfchen, aber der rote Teppich und der ganze Garten waren bedeckt von weggeworfenem Zeug, mit Zigarettenschachteln, umgekippten Flaschen, zerbrochenen Gläsern, verschmierten Tellern, dazu die gekrümmten, wie verkohlte Knochen aussehenden abgebrannten Fackeln. Die Beete mit den bleichen Rosen und dem Fingerhut, die dem Garten die Stimmung eines präraffaelitischen hortus conclusus verliehen hatten, waren von den Füßen der Schwankenden zertrampelt, jemand war in einen besonders schönen Rosenbusch gefallen und hatte ihn mit dem Spalier niedergerissen.
    Ivana war niemals für Stimmungszauber disponiert, heute noch weniger denn je, aber sie stand dennoch still, wie gebannt. Gerade hatte der letzte Gast das Haus verlassen. Rotzoff war erwacht, hatte sich aufgerappelt und war mürrisch und wortlos an ihr vorbeigezogen. Immerhin verließ er, der Ehrenkapitän dieses Festes, das gesunkene Schiff als letzter. Vorher war Ivana eine Einsamkeitsinsel inmitten des aus dem Ruder gelaufenen Treibens gewesen, jetzt war sie wirklich die einzige, und dies objektive Alleinsein trat ihr ins Bewußtsein. Die Mauern, hinter die sie sich verschanzt hatte, sanken dahin.
    Eine Weile überließ sie sich diesem Erlebnis, während die Sonne stieg und nun auch schon wärmende Strahlen sandte. Sie fühlte sie durch den kühlen Morgen hindurch auf ihrem Gesicht. Dann straffte sie sich und eilte durch die verwüstete Wohnung zum Klosett. Das sah besonders übel aus, aber es war gut, daß der Deckel hochgeklappt war. Sie erreichte es im letzten Augenblick, beugte sich darüber und erbrach in einem schmerzhaften Krampf ein wenig gallenbitteren essigsauren Magensaft. Sie hatte seit zwölf Stunden nichts zu sich genommen.
    Als sie sich aufrichtete, ertönte gedämpfte Musik, mexikanisches Zirpen, Steelband-Klingeln, Brass-Akkorde, volltönend, üppig, als fernes, schmetterlingshaft flatterndes Echo des Festes. Sie nahm ihr Telephon aus der Jackentasche. In raumloser Ferne, aus fensterlosem Irgendwo hörte sie die Stimme ihres Mannes. Zwanzig Minuten später war er da, in einer Tüte hatte er ihren schwarzen Jogginganzug dabei. Sie zog ihr Kostüm aus und streifte den Jogginganzug über. Dann begannen sie aufzuräumen.

Über den Autor
    Martin Mosebach, geboren 1951, lebt in Frankfurt am Main. Er wurde häufig ausgezeichnet u. a. mit dem Kleist-Preis, dem Georg Büchner-Preis und 2013 mit dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung. Sein Werk erscheint bei Hanser, zuletzt Stadt der wilden Hunde ( Nachrichten aus dem alltäglichen Indien , 2008), Was davor geschah (Roman, 2010) und Als das Reisen noch geholfen hat (Essays, 2011).
     
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