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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest
Autoren: Martin Mosebach
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Badezimmer von Frau Markies und ließ warmes Wasser in die Wanne. Das Fenster war in der unteren Hälfte mit Milchglas versehen, durch die obere drang ungebrochen das Sonnenlicht ein. Wie viele moderne Menschen ließ Frau Markies, deren Umgebung sonst von teurer Sparsamkeit geprägt war, in ihrem Badezimmer einen gewissen Luxus zu. Spiegel bedeckten die Wände, um den Körper der hier Badenden von allen Seiten zu präsentieren. Ein heller feinporiger Stein – um Gottes willen kein Marmor! – umgab die tiefen ovalen Waschbecken und die Badewanne. In der kühlen Sachlichkeit der Umgebung prunkte ein altertümlicher Schminktisch aus einer Theatergarderobe mit von vielen Birnen besetztem Messing-Kippspiegel. Hier war jener Wald von Flaschen und Tiegeln aufgestellt, der für Frau Markies’ Wohlbefinden unabdingbar war. Aber diese Flaschen ließ Ivana unberührt. Sie wußte nicht recht, was darin war, und hielt ihren Inhalt für etwas Medizinisches; wer wußte schon, woran Frau Markies im geheimen litt. Sie nahm nur die Badeölflasche, aus der sie es schwerflüssig türkis in den Wasserstrahl rinnen ließ. Ivana kickte ihre Sandalen zur Seite und begann sich auszuziehen. Sie trug einen schwarzen Jogginganzug – ihr »Pol Pot«-Kostüm, wie Frau Markies nie versäumte zu sagen, Ivana lachte dann ein bißchen mit, ohne zu wissen, was »Pol Pot« wohl sei, die Assoziation hätte ihr aber bestimmt nicht mißfallen. Schon als sie sich das Oberteil über den Kopf zog, begann sich ihr Geruch im Raum zu entfalten, ein kräftiger gesunder, keineswegs schweißig abgestandener, für sie höchst bezeichnender Dunst, etwas entfernt Landwirtschaftliches war auch dabei, obwohl sie längst nicht mehr wie zu Hause in Bosnien mit Ziegen und Kühen umging, sondern mit Staubsaugern und chemischen Putzmitteln. Jetzt war sie nackt. Die Spiegel zeigten sie von allen Seiten. Wer dabeigewesen wäre, hätte sie studieren können, ohne um sie herumzugehen. Ihr Körper war von unauffälliger Vollkommenheit. Sie war nicht groß, dem zeitgenössischen Ideal der Langbeinigkeit, das oft nur durch Staksigkeit erfüllt wird, vermochte sie nicht gerecht zu werden. Schenkel und Waden waren rund und schön geschwungen, Knie und Fußgelenke sehr schmal, das Hinterteil war nicht klein und nicht groß, aber breit genug, um einen deutlichen Einschnitt der Taille entstehen zu lassen. Der Bauch war weich, wenige aschblonde Löckchen kräuselten sich darunter, die Schulter schmal und abfallend, die Brüste nicht groß, kegelförmig stehend mit kirschroten Warzen darauf.
    Ivana wich ihrem vielfältigen Bild nicht aus. Sie wandte den Kopf und sah sich von rechts und links, aber wie eine Fremde, ohne Gefallen oder gar Mißfallen. Die kritische Überprüfung der eigenen Erscheinung, die so viele Frauen belastet, war ihre Sache nicht, und da gab es wahrlich auch nichts zu kritisieren, wenn man nicht an den kleinen roten Händen hätte herummäkeln wollen, die von Kindheit an gearbeitet hatten, ohne doch breit und hart zu werden, sondern eine leicht feuchte Patschigkeit bewahrten. Wie unerschrocken sie damit zupackte. Nie hätte sie bei ekelhaften Arbeiten Gummihandschuhe getragen. Sie kannte überhaupt die Empfindung des Ekels nicht. In einen stinkenden Mülleimer oder in die blutigen Eingeweide eines geschlachteten Tiers griff sie mit der Geste moralischer Überlegenheit über den Dreck, den sie durch Entfernung an seinen Platz verwies. Jetzt prüfte sie mit den Zehen die Wassertemperatur. Es war schön warm. Ihre kleinen Füße hatten kräftig rote Fersen und Zehen; die stachen um so mehr ab, als die Haut sonst am ganzen Körper blühend weiß war, nicht durchsichtig, nicht blaß, nicht farblos, sondern von starkfarbigem Weiß, und überhaupt ergab sich jetzt am frühen, aber schon voll entwickelten Morgen das reizvollste Farbspiel: das türkise Wasser, der schillernde, darauf treibende Schaum, der weißhäutige Körper mit seinen rötlichen Akzenten, der nun eintauchte in Lichtkaskaden, Wasserspritzern, Flimmern, zugleich wohlige Wärme, ja Hitze, die zur frühmorgendlich leichten Frostigkeit aufs angenehmste paßte und Ivanas Stirn feucht werden ließ.
    Denn jetzt ist der Augenblick gekommen, auch ihr Gesicht zu betrachten, jetzt, wo es vom Schaum wie von einer gestärkten Halskrause umgeben, wie abgeschlagen auf der Wasseroberfläche lag. Sie reckte den Oberkörper noch einmal in die Höhe, um sich in zeitloser, ja ewigkeitlicher Frauengeste mit geneigtem
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