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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest
Autoren: Martin Mosebach
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großen Kongresses im Auftrag der Unesco, des deutschen Außenministeriums, der EU -Kommissionen und anderer hochmögender Institutionen: eine Tagung, die sich mit den Fundamenten der Gemeinsamkeit der feindlichen Parteien auf dem Balkan, genauer in der Republik Jugoslawien befassen sollte, friedensfördernd selbstverständlich, antiseparatistisch, den Status quo des gemeinsamen Staatswesens stärkend. Ich wußte gar nichts über Jugoslawien, erinnerte mich aber, daß uns auf dem Gymnasium von den Geschichtslehrern zwei Staaten im Mittelmeerraum als Modell für die europäische Zukunft vorgestellt worden waren; zwei Staaten, in denen ganz verschiedene Völker in Frieden und Prosperität zusammenlebten: der Libanon und eben Jugoslawien.
    »Diese Skepsis ist am Platz«, sagte Wereschnikow mit leidender Autorität, aber sie sei eben auch billig: Niemand Vernünftiges wünsche einen Zerfall Jugoslawiens. Er habe englische, französische, amerikanische Stimmen des allerhöchsten Ranges in strengster Vertraulichkeit dazu gehört. Ein Zerfall Jugoslawiens komme für die Mächte des Westens nicht in Frage, sei auch anachronistisch, ein Rückfall in den Postkutschen-Nationalismus. Es müsse den streitenden Parteien behutsam, aber nachdrücklich vermittelt werden, daß die Weltgesellschaft keinen Zerfall des jugoslawischen Staates wünsche – allein schon zur Vermeidung von Nachahmungen –, noch dulden werde, daß man sich mithin auf die basisdemokratischen Werte irgendwie einigen müsse. Man müsse sich irgendwie vertragen. Er sagte mir das so streng, als sei ich selbst der Balkan-Separatist, der hier zur Ordnung gerufen werde, dabei hatte ich zu dem Thema, in dem Wereschnikow offenbar höchst bewandert war, keine Meinung. Maruscha auch nicht, die Champagner bestellte, während wir Männer beim Bier saßen – Wereschnikow trank übrigens niemals viel und bestellte sein Bier, um davon zwei Schluck zu nehmen, dann wurde es allmählich warm, während der Schaum zusammenfiel.
    Ganz plötzlich waren wir dann bei mir; der Kongreß über »die Würde in den verschiedenen Balkan-Kulturen, über den katholischen, den orthodoxen, den muslimischen, den atheistisch-philosophischen, den demokratisch-libertären, den reformsozialistischen Würdebegriff unter Teilnahme der maßgebenden Autoritäten aller betroffenen Gruppen« sollte von Begleitveranstaltungen reich umrahmt werden: Musik, Literatur, Malerei des Balkans sollte Jugoslawien als eindrucksvolle Kulturnation präsentieren. Auch hier liefen die Vorbereitungen, nur die Finanzierung war noch nicht gesichert. Das sei sein steter Kampf. Wereschnikow sprach in männlich beherrschter Anklage: Er müsse alles, aber auch alles allein machen, alles allein anschieben, alles allein auf die Beine stellen und zum Schluß sogar noch selbst das Geld herbeischaffen. Seine Exposés stießen stets auf Begeisterung und Bewunderung, aber dann hieß es, gleichsam im Postscriptum, daß angesichts der angespannten Haushaltslage – nun, ich wisse schon: Er möge bitte selber nach »Drittmitteln« Ausschau halten. Wieso Drittmittel? Wer war hier der dritte? Er kannte noch nicht einmal den zweiten, der sollte offenbar gänzlich ungeschoren davonkommen. Unversehens, aus der Klage heraus, wandte er sich mir zu, als sei das, was er gesagt hatte, nur die Vorbereitung auf seinen großen Vorschlag gewesen.
    Er plane im Kontext des Kongresses auch eine Ausstellung jugoslawischer Kunst, der ganz großen Kunst der Zwischenkriegszeit, als das »jugoslawische Projekt«, wie er sagte, noch jung und hoffnungsvoll gewesen sei – »Könnten Sie mir nicht ein Exposé für eine repräsentative Mestrovic-Ausstellung schreiben?« Nachdem er das triste Schicksal seiner Exposés zuvor geschildert hatte, war das hoffnungsvolle, ja enthusiastische Glimmen, das jetzt in seinen Augen lag, eine Überraschung. Maruscha lächelte sphinxhaft, das sah bei ihr besonders reizvoll aus, weil bei ihr die feierliche und geheimnistuerische Würde der üblichen Sphinx ganz wegfiel. Nur das innere Wohlbehagen am Besitz eines Geheimnisses, das kein schreckliches war, lag auf ihren rosigen Lippen. Ich fragte mich, woher Wereschnikow seine Selbstbeherrschung nahm, angesichts und im unbestrittenen Besitz von Maruscha irgendeinen anderen Gedanken fassen zu können, als sie unablässig auf diese Lippen und überallhin zu küssen. Seine Nüchternheit hatte geradezu etwas Wissenschaftliches, wie die eines korrekten Gynäkologen, dem die
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