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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest
Autoren: Martin Mosebach
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vorfand, erkannte sie das an.
    Aber Frau Markies hatte dies beträchtliche Kapital, diesen Bewunderungsvorschuß verspielt, letztlich durch einen Mangel an Selbstbeherrschung. Sie hielt eine kleine Schwäche nicht genügend im Zaum, die aber wie Ameisen, Termiten und Holzwürmer die Basis ihrer Autorität zernagte. Es war für sie immer ein Angang, mit einem oft erfolglosen inneren Kampf verbunden, Bargeld aus der Hand zu geben. Überweisungen am Bildschirm verliefen bei ihr beinahe schmerzlos, sie hinterließen höchstens eine flüchtige Unlust oder eine lästige Taubheit, ein jähes Zusammenfallen der Vitalität, das schnell überwunden wurde, aber dies Öffnen der Handtasche, das Hervorholen und Abzählen von Scheinen, das widerstand ihr. Dies Verschwindensehen des eigenen Geldes in einer fremden Tasche, das war für sie mit einer unbeherrschbaren Empörung verbunden; aufs Gesicht trat nur die schlechte Laune, als sei sie mit der zu bezahlenden Leistung unzufrieden, das machte die Wirkung auf Ivana freilich nicht besser. Und oft genug konnte Frau Markies sich nicht einmal zu solch widerwilliger Leistung überwinden. Wenn sie spürte, daß es ein Tag war, an dem sie Schonung verdiente, fand sie die Kraft zu strahlendem Lächeln und bat Ivana, bis zum nächsten Mal auf das Geld zu warten. Lange dauerte es nicht, bis Ivana die Gesetzmäßigkeit dieses Vorgehens durchschaute, das sie psychologisch gewiß nicht weiter deutete. Es war das Ergebnis, worauf es ankam: Die Bewunderung schlug in Verachtung um. Das war natürlich sehr grob; man hätte auch amüsiert reagieren können, denn zum Schluß war das Geld, mit einer gewissen Verspätung, ja dann doch immer da, aber Zwischentöne waren nicht die Sache von Ivana. Sie sah die Welt schwarz und weiß, meistens also schwarz, denn ein fleckenloses Weiß ist selten.
    In der Seifenschale lag ein großes Stück schwarzer Seife, Ivana nahm es und ließ es sich über den Körper gleiten, den sie dafür leicht aus dem Wasser hob. Als sie mit den Händen den Seifenschaum, der nach Weihrauch und einer bitteren südlichen Pflanze roch – es war Ivana, als kennte sie diesen Geruch aus den trockenen Gestrüppwäldern der heimischen Berge –, leicht streichelnd über ihren Brüsten verteilte, stutzte sie. War da nicht etwas anders als gewohnt? Waren die Brustwarzen, die ausdrucksvoll aus dem Wasser ragten – warum sah das kein Mensch! –, nicht ein wenig angeschwollen? Bemerkte sie in den Brüsten nicht ein feines, bis dahin unbekanntes Ziehen? Die Frauen, die sie kannte, sprachen oft von irgendwelchen delikaten Beschwerden, die meist gar nichts weiter bedeuteten; sie konnte da nie mitreden, denn ihr fehlte niemals etwas, von einer Neigung zu Schnupfen in langen Wintern einmal abgesehen. Es war ihr augenblicklich klar, was diese kleinen Symptome bedeuteten, da bedurfte es keiner weiteren Diagnose. Das Unvermeidliche war eingetreten. Sie war schwanger.
    Es war ein guter Augenblick, um diese Gewißheit zu erlangen. Als der Arzt sie bestätigte, vermochte er Ivana nicht zu überraschen. Die Visite beim Arzt war nur ein teures Ritual, sie war in Deutschland nicht versichert. Und Ivana empfand zutiefst unrituell, darin lag vielleicht der schroffeste Gegensatz zum Rest ihrer Familie. In der Badewanne von Frau Markies, umgeben von der Luft eines sonnigen Luxus, eingehüllt in die Wärme und in den Lichtzauber der auf den kleinen Wellen tanzenden Flimmerpünktchen, war ihr bei dieser neuen Gewißheit schläfrig zumute wie nach größerem Blutverlust. Es regte sich weder Freude noch Widerstand.
    Die Schwangerschaft war die zu erwartende Folge der Eheschließung, eine späte wohlgemerkt. Vier Jahre lebte sie nun schon verheiratet und schlief mit Stipo in einem engen Bett, da waren die Gelegenheiten, ein Kind zu empfangen, auch wenn nicht eigens angestrebt, unvermeidlich. Stipo war genau der Mann und hatte sich nach der Hochzeit auch darin bestätigt, den sie nicht hatte heiraten wollen. Es gab wenig oder nichts, was ihm ernsthaft vorzuwerfen war. Wenn sie ihn von sich wegstieß, weil er mit Zigaretten- und Schnapsatem zu ihr ins Bett kam, glaubte sie eher einer Pflicht zu genügen, als wirklich angewidert zu sein. Stipo war nicht der Mann, den sie wollte, aber wen wollte sie statt dessen? Bei der Antwort: Niemanden, wäre ihr unheimlich gewesen. Einer mußte es sein, denn Nonne wollte sie nicht werden, und die Lebensform der unverheirateten Frau war in ihrer Elternwelt nicht
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