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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest
Autoren: Martin Mosebach
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vorgesehen.
    Stipo hingegen hatte Ivana gewollt und keine sonst. Sein ausgeprägtes Profil, die große pfeilgerade Nase, der stets halbgeöffnete Mund, mit dem er, was seine Augen sahen, aufschnappen zu wollen schien, waren seit langem und ausschließlich auf sie gerichtet, in einem Maße ihr zugewandt, zu ihr strebend, daß für einen Hinterkopf nicht mehr genügend Masse vorhanden war. Alles an diesem Schädel wurde nach vorn gezogen, hinten war er platt wie ein Brett. Er war aus unbedeutender Familie; nun, das machte nichts, der Sohn einer Witwe, da gab es keinen belastenden anspruchsvollen Anhang. Er war ein starker Mann mit Riesenhänden. Er konnte einen Backstein zerbrechen – nicht jeden, immer klappte es nicht, aber manchmal schon, wenn der Stein bereits einen Sprung hatte, dennoch eine beeindruckende Leistung, aber er gehörte nicht zu der Schar der anderen jungen Männer in seinem Alter mit ihren Prahlereien, Schlägereien, Saufereien, ihrer Fixiertheit auf jede erdenkliche Art von Frau – verächtliche Neigungen in Ivanas Augen, deren Abwesenheit aber ebenso verächtlich war. Jede Art Männerinteresse hatte Ivana scharf weggezischt wie eine wütende Gans. Ihre Drohung tätlich zu werden war glaubwürdig, und so hatte sich ein Cordon Sanitaire des Respekts um sie gebildet, den niemand zu verletzen wagte, bis auf Stipo eben, der einfach immer dablieb, der durch keine Nichtbeachtung beleidigt, durch kein wegwerfendes Wort zu entmutigen war, im übrigen schlau genug, niemals unmißverständlich zu werben. Sie galten in der Familie und in weiterem Umkreis schon als Paar, bevor sie auch nur ein einziges vertrauliches Wort gewechselt hatten. Ivana, der Willensmensch: Hier war sie eigentümlich willenlos. Es war, als habe sie sich selber als Kampfpreis für den zähesten Freier gesehen, als habe das gesamte Liebesannäherungsgeschäft ausschließlich auf der männlichen Seite zu liegen und als sei ihr Part nur gewesen, die sich nahe am Ziel Wähnenden zu entmutigen. Man konnte ihrer Familie ein Verwurzeltsein in altertümlichen Anschauungen gewiß nachsagen, aber diese Haltung, aus der Ivana nicht herausgefunden hatte, so unwohl sie sich dabei auch fühlte, die war allein ihre Sache. Geradezu ohnmächtig und wenig erbaut hatten Vater und Mutter zusehen müssen, wie alles auf einen Schwiegersohn Stipo zutrieb und wie Ivana durch Indifferenz und regelrechte Meinungsverweigerung die Zwangsläufigkeit dieser Entwicklung noch verstärkte. Erleichtert war sie dann, als der große Schritt endlich getan war und das ihr im Himmelsbuch vorgezeichnete Schicksal, wie immer es aussah, endlich seinen Lauf nahm.
    Das Badewasser wurde kühler. Die Sonne schien nicht mehr ins Badezimmer, denn sie war höhergestiegen und stand jetzt über dem Haus. Der Schatten vertiefte die Farben. Als Ivana die Beine anzog, sich mit den Armen auf dem Badewannenrand abstützte und unter Anspannung der unter der weichen Bauchdecke verborgenen kräftigen Muskulatur – noch ging das! – aus der Wanne aufstand, war es ein Rauschen und Sprudeln. Der Körper wuchs aus den bewegten Wogen hervor, schien selbst aus herabströmendem Wasser zu bestehen, glänzend wie Porzellan, der leider nicht anwesende Betrachter hätte sich vorstellen können, er erlebe, wie sich das Wasser zur Gestalt ballte. Ein großes Handtuch aus Waffelpiqué hüllte Ivana ein. Sie empfand lustvoll, wie das steife Piqué sich vollsaugte und schlapp und lappig wurde. Ivana stieg in ihren schwarzen Jogginganzug. Sie war noch barfuß, als sie draußen den Schlüssel im Schloß hörte. Das erste junge Mädchen traf ein, ein blöndlich-zartes Ding, sehr lieb zu jedermann, aber in Ivanas Augen das unnützeste Wesen der Welt.

Zweites Kapitel
    Rettet Jugoslawien!
    Solange ich Wereschnikow kannte, ließ er in seiner ausdrucksvollen, keineswegs gedämpften Suada stets eine Fülle großer Namen fallen, Leute, die mit ihm in beständiger freundschaftlicher Verbindung standen, jeden seiner Zeitungsartikel studierten und ihn wie einen Sohn und Bruder liebten. Boutros Ghali und Henry Kissinger waren nicht die kleinsten unter ihnen; als ich ihn bei Merzinger traf, hatte er, wie er fallenließ, gerade mit Jack Lang telephoniert und dessen »rückhaltlose Bewunderung für seine Arbeit« entgegengenommen – welche Art Arbeit, wurde mir nie wirklich klar, denn er war wohl, wenn ich das richtig sah, in keinerlei Apparat eingebunden; keine Universität, kein Institut, keine Redaktion besaß das
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