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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest
Autoren: Martin Mosebach
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Schönheit oder Häßlichkeit einer Patientin gleichermaßen unsichtbar zu sein hat. Oder hatte hier die Gewohnheit schon ihr schlammiges, lähmendes Werk begonnen? Indem er mir seinen Vorschlag machte – »Nein, im Ernst, ohne Spaß, ich brauchte so ein Exposé lieber früher als später« –, hatte er jedenfalls mit der Gewohnheit gebrochen, seine eigenen Angelegenheiten »wie einen Raub zu hüten« – um es mit dem heiligen Paulus zu sagen, nein, da sollte nun womöglich gar ein handfester Auftrag vergeben werden …
    »Die Kunst-Seite meines Kongresses interessiert die Sponsoren übrigens komischerweise am meisten, für Kunst ist viel mehr Geld da als für Philosophie.« Mestrovic sei die ideale Figur – gegenwärtig im Westen beinahe unbekannt, obwohl in Nordamerika gestorben, aber ein gesamteuropäischer Künstler, Rom, Paris in der Biographie, wenn man ihn auf eine Formel bringen wolle … Er zögerte, ich staunte, über Kunst hatte ich Wereschnikow noch nie reden hören, ihm genügte es, sich von einem lebenden Kunstwerk begleiten zu lassen, von Maruscha, der Milch-und-Blut- und Milch-und-Honig-Katze.
    »Ethno-Art-déco«, sagte Wereschnikow, der Ausdruck war ihm zugefallen, er war noch nicht einmal stolz darauf. Ich hatte nicht die blasseste Vorstellung von Mestrovic. Und an Nationalkünstlern der aus dem Ersten Weltkrieg hervorgegangenen »jungen slawischen Nationen« fesselte mich nichts. Dabei hätte mir klar sein müssen, daß ich mein Kunsthistorikerleben, sollte jemals Geld dabei herausspringen, wohl kaum im Tintoretto-Pferch würde zubringen können. Es galt gerade für einen wie mich, die Augen nach neuen Weidegründen offenzuhalten. Ich ließ nicht durchblicken, ob mir Mestrovic etwas sagte, und Wereschnikow fragte mich auch nicht. Wer weiß, wo er den Namen aufgeschnappt hatte. Er war in Exposé-Laune. Exposés durften nicht zu detailliert sein, wenn sie gelesen werden sollten. Sie mußten vor allem das Vertrauen erzeugen, daß der Autor schon Bescheid wisse und mit Sicherheit aus seinen Skizzen ein großes Werk realisieren werde – »die meisten Leute können sich ohnehin einen Plan nicht in die Realität übersetzen, sonst würden nicht so viele idiotische Filme gedreht und so viele erbärmliche Häuser gebaut«. Er werde mir selbstverständlich hier »an diesem Tisch und in dieser Minute« – eine solche Präzision hätte mich aufhorchen lassen müssen – nicht garantieren, daß mein Exposé »in vollem Umfang« umgesetzt werde … Ich beeilte mich, ihm zu versichern, daß ich »den Betrieb kennte« – gerade an solcher Kenntnis fehlte es mir – und keine wirklichkeitsfremden Erwartungen hegte. Was er brauche, sei das Konzept einer großen Ausstellung: Angabe der Werke, die in Frage kämen, Versicherungs- und Transportkosten, geeignete Ausstellungshalle – »Aber bitte groß denken, es kann und muß eine große Sache werden, sonst paßt sie nicht in den Rahmen.« Das traute er mir jedenfalls zu – er kenne meine Arbeit, kenne mich aus vielen Gesprächen, schätze mich, das waren seine Ausdrücke, und ich fragte mich nur ganz kurz, worauf sich das beziehen mochte –, hatte er meine Doktorarbeit, die ich ihm in törichtem Stolz überreicht hatte, etwa doch gelesen? Worauf sonst mochte er sich beziehen – in meiner Gegenwart hatte immer er monologisiert –, aber es ist ein Reflex der großen Monologisten, ihre gehorsamen Zuhörer für besonders gescheit zu halten. Tatsächlich gibt es eine Kunst des intelligenten Zuhörens, ermutigenden Kopfnickens, bestätigender Einwürfe, der Hingerissenheit des Gesichtsausdrucks. Übrigens verlangte Wereschnikow davon kaum etwas. Unruhig und desorientiert wirkte er auf mich, solange ein anderer sprach; jedem, der nicht selbst dem stolzen und unabhängigen Volk der Monologisten angehörte, mußte schnell klar sein, daß keines seiner Worte zu Wereschnikow hinübergelangte, daß man sein Thema offenbar nicht packte, daß man zu langweilig und blaß von ohnehin unwesentlichem Zeug sprach, zu leicht, um in Wereschnikows Bewußtsein einzusinken. Wenn Wereschnikow wirklich einmal zum Zuhören verdammt war, was leider auch vorkam – etwa bei Sitzungen, die seine Exposés zum Gegenstand hatten –, gelang es ihm inzwischen mühelos, abzuschalten und zugleich auf die Entstehung eines Risses in der Lückenlosigkeit fremder Rede zu achten. Sowie er beim andern Bedenken oder eine Absence oder eine kleine Ratlosigkeit wahrnahm, hatte er den
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