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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest
Autoren: Martin Mosebach
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den wie Bäcker mit Mehl bestäubten Bildhauern war mir im Gedächtnis, eine Kunst der Körperkraft war das, die breite Handgelenke von Maurern brauchte, wenig unterschieden von Steinbrucharbeitern und Straßenpflasterklopfern. Um so grotesker mein Vergleich: Das Bildhauer-Berserkertum des jugoslawischen Meisters Mestrovic war der Strohhalm, der sich mir gegenwärtig darbot, nach diesem Strohhalm mußte ich greifen. Und ich begann denn auch sofort die Vorstellung einzuüben, eine große Skulpturenausstellung vorzubereiten und mich probeweise für »die Skulptur an sich« zu begeistern: Denn wenn man ohne Enthusiasmus anfängt, dann werden noch nicht einmal die schäbigsten Berechnungen aufgehen. Ich muß mich begeistern; für die Dogentestamente – eine trockene Lektüre – habe ich mich seinerzeit auch begeistert. Die Autorität, die mir Wereschnikow ohne weiteres zusprach, so wie er sich selbst bei allem, was Geld bringen mochte, für zuständig hielt, die meinte ich, kaum daß ich allein war, auch schon zu besitzen – in mir sah ich das Instrumentarium des Urteilens, Wägens, Kategorisierens, Bewertens in professioneller Vollständigkeit ausgebreitet: Jedem Bildhauer auf Erden, eingeschlossen Mestrovic – hieß er nicht Ivan? –, war ich gewachsen. Ich sah bereits wie ein Bildhauer. Ich ertastete mit den Augen die parkenden Autos auf ihre plastischen Valeurs hin, ich erkannte skulpturale Schönheiten in den Steinpfosten meines Gartentores, ich sah den Sandhaufen einer Baustelle als massig-kraftvolle Plastik. Das war schon das Ergebnis des Heimwegs durch die Nacht: Der Vollmond schien so hell und scharf und goß als kosmischer Bildhauer weißes Licht und Schattenschwarz über alle Gegenstände. Die Erde gebar Skulpturen, die meinem Blick bisher verborgen geblieben waren.

Drittes Kapitel
    Epiphanie einer Assistentin
    Das Mädchen in der S-Bahn, mir schräg gegenüber auf der anderen Seite des Ganges, saß da nicht auch ein Bildhauermodell? Was war ein geeignetes Bildhauermodell? Ich neigte dazu, während ich das hellblonde, sehr weißhäutige, zarte Geschöpf diskret betrachtete, es zunächst zum Gegenteil zu erklären. Der Bildhauer würde doch eine gewisse Masse bevorzugen, die raumverdrängend – Raum in Besitz nehmend wirken könnte. Aristide-Maillol-Frauen waren die Idealmodelle, gewichtig, aber exakt geformt, mit bedeutenden Hinterteilen, aber scharfem Tailleneinschnitt, kräftigen, aber präzis geschwungenen Schenkeln und Waden. Dieses kleine, in Wahrheit gar nicht so kleine Mädchen hingegen war zwar nicht gerade ein Giacometti-Modell – das war immerhin auch ein Bildhauer, ein Anti-Bildhauer vielleicht, der wie der Tod den Menschen das Fleisch und Fett von den Knochen fraß –, nein, da war viel sanft-kindliche Körperlichkeit, wenn auch noch nicht weiblich-mütterlich ausgebildet, und, was mich überhaupt darauf brachte, sie in solche Überlegungen einzubeziehen, das waren ihre männlichen, ihrem Körper entgegenwirkenden Kleider: eine mit braun-grauen Tarnflecken bedruckte weite Militärhose, die einem kräftigen Soldaten gepaßt hätte, durch einen breiten schwarzen Ledergürtel über der schwanenhalsdünnen Taille zusammengezogen, dazu die schweren geschnürten Lederstiefel; das alles sah aus, als wäre sie in irgendeinem Bett ohne Kleider aufgewacht und hätte sich genommen, was da herumlag, und diese formlosen, jedenfalls ihren Formen nicht entsprechenden Klamotten, ja, die umgaben sie wie wegzuschlagender Stein einen schlanken Nymphenkörper. Über dem Gürtel trug sie nur zwei leichte Unterhemdchen übereinander, mit fadendünnen Trägern, die ein bißchen in die Haut der Schultern einschnitten: Dieser Oberkörper mit den kleinen Brüsten und dem langen schlanken Hals stieg aus dem Männerkleiderhaufen empor. Es war wie eine fortgesetzte Bewegung von unten nach oben, aber zugleich neigte sich der kleine Kopf mit dem nachlässig hinten zusammengeklammerten farblosen Haar auch wieder hinab in schönem Bogen. Weil ich ihr Gesicht noch nicht sah, war dieser lange Hals in seiner Feinheit das auffälligste an ihr. »Ihre Haut war so durchscheinend, daß man den Rotwein, den sie trank, ihre Kehle hinabrinnen sah.« Wer hatte sich diese anatomische Absurdität ausgedacht? Jetzt kam sie mir höchst wahrscheinlich vor.
    Das Mädchen war konzentriert, als sitze sie allein in einem Büro. Um sie herum waren unsichtbare Grenzen gezogen, es war ein Glaskasten, der sie umgab. Sie saß darin derart
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