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Fernsehkoeche kuesst man nicht

Fernsehkoeche kuesst man nicht

Titel: Fernsehkoeche kuesst man nicht
Autoren: Nikola Hotel
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Kapitel 1
     
    »Du kannst jetzt nicht schlafen, Jo!«
    Vergeblich bemühte ich mich, diese Stimme auszublenden.
    »Und ob ich das kann. Ich schlafe auch schon«, log ich. Ein wenig Ruhe war doch sicher nicht zu viel verlangt.
    »Das meine ich nicht. Ich habe eben ein akutes Abdomen aufgenommen. Wetten, dass es nur noch Minuten dauert, bis die Ambulanz dich anruft?«
    Kaum war dieser Satz in mein Bewusstsein gedrungen, fing mein Funk an zu piepsen. Ich öffnete die Augen. Das Pochen hinter meiner Stirn ignorierend, rappelte ich mich auf und setzte mich auf die Bettkante. Gaby lehnte an der Wand des Dienstzimmers, in der rechten Hand eine Tasse mit dampfendem Kaffee. Die kurzen Locken fielen ihr weich ins Gesicht; ihre Augen, die von feinen Linien umgeben waren, zwinkerten mir zu.
     »Das wird kein Spaß, kann ich dir sagen. Der Typ ist so ein Schönling vom Fernsehen. Du weißt schon: einer von der Sorte, die einen verklagen, wenn man das Pflaster zu schnell abreißt. Ich bin wirklich froh, dass ich den erst schlafend wiedersehe.«
    »Wer operiert ihn denn?«, fragte ich und hoffte inständig, dass es nicht Professor Straubing war, denn mit dem war ich heute bereits aneinandergerasselt.
    »Ich natürlich. Und Straubing, der alte Kotzbrocken.« Sie lächelte. Das tat sie, weil sie ihren Chef vergötterte. Ihrer Meinung nach besaß er genau die richtige Mischung aus Genie und Wahnsinn.
    Mit wackeligen Knien stellte ich mich an das kleine Waschbecken und spritzte mir Wasser ins Gesicht. Meine Augen waren so dunkel umrandet, damit hätte ich einen Zombie mimen können. Außerdem sahen meine Haare leider auch nicht nach Drei-Wetter-Taft aus. Das war allerdings kein Wunder, da ich sie die letzten achtzehn Stunden beinahe ununterbrochen unter einer OP-Haube versteckt hatte.  
    Heute war nicht mein Tag. Bereits bei dem Kaiserschnitt vorhin hatte ich meinen Oberarzt um Hilfe bitten müssen. Wenn ich ihn nun, nachdem er gerade erst nach Hause gefahren war, erneut aus dem Bett holte, würde er mir bestimmt an die Gurgel springen.
    »Ist er jung, dieser Schauspieler?«
    »Sehr jung«, bestätigte Gaby. Aber das hieß nicht viel, denn bei einem gefühlten Altersdurchschnitt der Patienten von sechzig Jahren bedeutete sehr jung etwas zwischen zwanzig und fünfzig.  
     Ich stahl mir einen Schluck aus Gabys Kaffeetasse. »Dann sehen wir uns gleich im OP«, sagte ich und verließ das Dienstzimmer in Richtung Ambulanz. Der Gang lag einsam und nur schwach beleuchtet vor mir, und das Linoleum quietschte unter meinen Sohlen. Mich fröstelte, deshalb knöpfte ich den Arztkittel zu. Müde schob ich die Tür zum Schwesternzimmer auf, wo Karin, die Ambulanzschwester, gerade einige Röntgenbilder eintütete. Mit dem Kopf nickte sie zum Untersuchungsraum 2.
    »Und?«, fragte ich und unterdrückte ein Gähnen.
    »Ein akuter Wurm. Jung, reich und arrogant.« Sie warf mir über den Rand ihrer Goldbrille einen vielsagenden Blick zu.
    »Ist der Patient denn nüchtern?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Er ist Koch«, fügte sie noch hinzu.
    »Ich dachte, er wäre Schauspieler.«
    »Ne, der macht eine dieser Kochshows, die abends im WDR laufen. Die kochende Leidenschaft heißt die, glaube ich.«  
    Ich zog einen Aufklärungsbogen aus dem Regal und griff mir die Patientenakte, die recht dünn war und fast jungfräulich anmutete. »War er denn schon mal bei uns?«
    »Im Januar. Hatte sich da mit einem Tranchiermesser verletzt und musste genäht werden.« Sie stopfte die Röntgenbilder in die Ablage zurück.
    Nach wenigen Schritten klopfte ich zaghaft an die Tür. Noch immer kostete es mich Überwindung, einfach so ein Zimmer zu betreten und die Privatsphäre anderer Leute zu stören. Gaby machte sich des Öfteren darüber lustig. »Du bist mit Sicherheit die einzige Ärztin Kölns, die sich nicht traut, ihre Patienten zu untersuchen«, warf sie mir vor. Und ich musste zugeben, dass sie damit wohl recht hatte. Denn mal ehrlich, man wusste nie, was einen hinter einer solchen Tür erwartete. Das Leben war nämlich keine Schachtel Pralinen.
    Das Leben war ein langer Krankenhausflur mit weißen Türen.
    Nachdem ich einen kurzen Moment abgewartet hatte, holte ich tief Luft und betrat den Untersuchungsraum. Mein Patient kauerte in Embryostellung auf der Liege. Zuerst sah ich nur dunkelblaue Jeansbeine und darüber ein weißes Hemd. Ein hochgekrempelter Ärmel offenbarte sonnengebräunte Haut, der dünne Schlauch einer Infusion baumelte von
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