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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest
Autoren: Martin Mosebach
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abgeschieden, daß sie mein Zu-ihr-hinüber-Blicken gar nicht bemerken konnte – es gibt doch dieses Glas, das nur von einer Seite her durchsichtig ist. Ihr Laptop war flach wie ein Aktendeckel, aber das Bild öffnete ihrem Blick die tiefsten Tiefen, das sah wirklich zauberisch aus – als hätte ich das nicht tausendmal gesehen –, dieser Film, den sie sich ansah mit seinen figurenreichen Szenen, seinen Kamerafahrten durch die sich verjüngenden Perspektiven einer großen amerikanischen Stadt, seinen weiten Ausblicken, und das alles immateriell wie das Spiel eines Sonnenstrahls auf der Benzinschliere einer Wasserpfütze. Hier waren die Körper nur noch Schimäre, nicht einmal Oberfläche, Schmetterlingsflügelstaub besitzt eine handfestere Substanz. Aber die Körperlosigkeit der Filmbilder trug dazu bei, dem Mädchen einen deutlichen und sogar nicht ungewichtigen Körper zu verleihen – die Unwirklichkeit des Filmzappelns machte die Welt, in die sie wie ein schwach leuchtendes Fenster eingefügt war, wirklicher. Wie anders waren die Häuserreihen, an denen wir vorüberfuhren in ihrem grauen So-Sein, Mauerwände, zu denen keinem Kameramann etwas eingefallen war, die unphotographiert und unausgeleuchtet in den gleichfalls hellgrauen Tag ragten, als stünden sie seit Anbeginn der Welt an diesem Bahndamm.
    Das Mädchen gehörte nicht zu den frivolen Geschöpfen, die sich Filme anschauen, um die Zeit totzuschlagen, dieses Filmgucken hatte etwas mit Arbeit zu tun. Sie hielt den Ablauf gelegentlich an, schaltete eine andere Seite ein und machte sich kleine Notizen, mit den kindlichen Fingern, die eben noch vergebens Löckchen ins glatte Haar gedreht hatten, bachstelzenartig über die Tastatur hüpfend – über das Wasser zu laufen war vielleicht wirklich nur eine Sache der gehörigen spirituellen Spannung. Dann sprang der Film wieder an, der auf ihren Befehl hin zur starren Photographie geworden war und dann im Kasten ohne Boden verschwand, aus dem er jetzt gehorsam wieder hervorkam; diese Schleier bunten Scheinlebens verhielten sich wie die Tagtraumbilder, die ich dressiert habe, zu erscheinen und zu verschwinden, wie es mir beliebt. War das so angelegentlich mit seinem Film befaßte Mädchen Studentin an der Filmhochschule oder gar schon Regieassistentin? Ihre betont unweibliche Kleidung, die dem Betrachter das Signal sandte: Betrachte mich gefälligst nicht unter dem Gesichtspunkt deiner Begierden! – ich will als ernsthaft arbeitender Mensch angesehen werden! –, hatte etwas von der Schönheitsfeindlichkeit jener Professionen, die hauptamtlich mit der Herstellung modischer Schönheit und Verführungskraft beschäftigt sind. Schönheit – oder was man darunter verstehen wollte, die Ideale wechseln inzwischen schnell, es werden immer neue Schönheitlichkeiten ausgedacht – war unter dem Gesichtspunkt der Erzeuger, der Modemacher, der Werber, der Filmleute eine Ware, zu der es professionellen Abstand zu wahren galt. Da gibt es immer eine Barriere: Auf der einen Seite steht das schier unendlich gepflegte Mannequin mit seiner physischen Delikatesse, auf der anderen der unrasierte Photograph mit den herunterhängenden Jeans, und die Schönheit und Appetitlichkeit des Modells ist in keiner Weise vorbildlich, maßstabsbegründend für die, die es abbilden und auf die erfinderischste Manier ins Licht setzen, die Schönheit ließ deren Hersteller kalt. Sie ist Material, man hat damit nichts zu tun, sonst stünde man unter dem Verdacht, sich auf der falschen Seite der Barriere zu befinden. Wenn ein solch ausgesucht zartes und exquisites Kind wie dieses Mädchen mir schräg gegenüber in der Schönheitsbranche arbeitete, mußte es außerordentliche Anstrengungen unternehmen, um ihre Schönheit zu dissimulieren und zu etwas Nebensächlichem, zunächst nicht Wahrnehmbarem zu machen.
    Soviel hatte ich mir jetzt schon zurechtgelegt. Aber die Wirkung, die von versteckter Schönheit für denjenigen ausgeht, der sie dennoch entdeckt, die durfte ich jetzt gleichfalls verspüren. Ich konnte meinen Blick nicht von ihr abwenden und durfte ohne Hemmungen studieren, wie sie in ihrem Eifer die vollen blassen Lippen einsaugte und darauf herumnagte, ja ich konnte mich ganz unbesorgt, durch mein Starren lästig zu fallen, der Sorge hingeben, ob das Einsaugen nicht ein zu roher Umgang mit diesen Lippen sei, ob sie dabei nicht wund oder zerbissen würden. Das Mädchen sah aus, als sei es, seiner martialischen Tracht zum Trotz,
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