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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest
Autoren: Martin Mosebach
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verbalen Fuß sofort in der Tür.
    »Lassen Sie ihn nur machen«, sagte Maruscha und legte ihre Hand auf die meine, und diese Berührung ließ ein Wohlgefühl in mich einströmen, das Wereschnikow, der diese beiden Hände zerstreut betrachtete, mir offenbar nicht neidete. Maruschas Hände waren so delikat wie die Hände aus der Spülmittelreklame im Fernsehen, die mit polierten Fingernägeln in warme Seifenlauge eintauchen und im flüssigen Element wie zarte Meerestiere spielen, während das Weinglas sich von selbst in funkelndes Kristall verwandelt. Sie war seine beste Mitarbeiterin, wußte er das? Nahm er sie oft genug mit zu den Sponsoren-Besprechungen? Und durfte man nicht sicher sein, daß Maruscha sich niemals ihrer Erfolge rühmen würde, aus gutem Geschmack, aber auch aus Intelligenz, denn das hätte ihr Gegenüber zum Nachdenken im falschen Moment geführt?
    Ich hatte nur Wereschnikows Visitenkarte in der Tasche, als er aufbrach; als ich ihm versprach, über Mestrovic nachzudenken, wandte er sich schon zum Gehen.
    »Nicht nachdenken«, antwortete er mit der geistigen Strenge eines väterlichen Seelenführers über die Schulter hinweg, »tun! Ich warte!«
    Ein Auftrag. Aus der unerwartetsten Richtung, woher die großen Lösungen oft zu kommen pflegen. Als sie Merzinger verließen, passierten sie noch Rotzoffs Tischchen. Rotzoff gehörte zu den Stammgästen.
    Dieser Mann hatte das Scheitern zu seinem Triumph gemacht; er wurde hier mit widerwilligem Respekt betrachtet. »Ich habe versucht, neue Blumen zu erfinden, neue Sterne, neues Fleisch, neue Sprachen … ich habe vermutlich übernatürliche Kräfte … – im Ernst! Damit ist nicht zu spaßen … aber ich habe meine Phantasie begraben … ich bin wieder auf dem Boden … Ich!« Wenn er das sagte, sah er sein Gegenüber mit nachdenklicher Sanftheit an, wie ein Reisender, der von lebensgefährlicher Fahrt zurückgekehrt ist, und fuhr dann fort: »Ich! Haben Sie mal darüber nachgedacht, was das heißt?«
    Inzwischen war an seinem Tischchen schon viel getrunken worden. Merzinger brachte gelegentlich ein großes Weinglas, das er schwenkte. Dann steckte er seine lange Nase hinein, als wollte er ameisenbärartig den Wein erschnuffeln, nahm keinen Schluck und reichte den angeschnuffelten Wein weiter. Rotzoff roch gleichfalls daran, roch vermutlich nichts; – auch wenn ihm, wie er schmerzverliebt berichtete, nicht eben gerade mit erhitzten Drähten die Schleimhäute der Nase verödet worden wären, hätte er nichts gerochen, behaupte ich, denn das Zerstäubt-Atmosphärische war seine Sache nicht, er war der Mann der harten Effekte, und so kippte er denn den gereichten Kelch herunter: es sei ihm längst gleichgültig, wovon er Kopfschmerzen bekomme.
    Maruscha verabscheute ihn, natürlich auf ihre Weise. Ein überirdisches Speziallächeln kam auch ihm zu, aber am Tisch hatte sie mir noch gesagt: »Der Mann ist nicht schön«, das war das schärfste, was aus ihrem Munde zu hören war – »nicht schön«, damit war der Betroffene geradezu aus dem Kreis der beseelten Lebewesen gewiesen, und er wurde diesem Urteil sofort gerecht, denn er hatte sie wie ein hungriger Schäferhund angestarrt und ihr Lächeln, als sei es ein Stück Wurst, aufgefangen und gefressen, nur um, kaum daß sie den Raum verlassen hatte, eine rüde obszöne Bemerkung zu machen – man muß sie nicht wiederholen, sie läse sich schlimmer, als wenn man sie nur hörte. Übrigens war Maruscha in solchen Sachen nicht zimperlich. Von ihrer alten Freundin Kasia, der großen Dame im Armenasyl, hatte sie viel Gepfefferteres gehört und stets herzlich darüber gelacht; nur sie selbst übernahm nichts davon, eine innere Stimme riet ihr davon ab. Obszönität war lustig, aber sie paßte nicht zu ihr, so hatte sie für sich entschieden. Und auch Rotzoff wollte sich nicht weiter mit ihr befassen – »er stehe nicht auf solche triumphierende Stutenweiblichkeit«, sein Fall seien »kaputte, perverse Kinder, halbe Knaben« – jetzt war es an ihm, erwartungsvoll um sich zu schauen.
    Mit Meistern wie Mestrovic, mit Bildhauern, schon gar des zwanzigsten Jahrhunderts, hatte ich mich bisher nicht beschäftigt. Mein Modell-Bildhauer war Michelangelo, ein Wüterich gegen die Materie, ein Kämpfer mit Felsbrocken, die er wie einen persönlichen Feind selbst ausgesucht hatte, um sie kleinzukriegen, ihnen gleichsam das Knie in den Nacken zu setzen und sie wie eine eisenharte Nuß zu knacken. Vasaris Wort von
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