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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest
Autoren: Martin Mosebach
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Erstes Kapitel
    Ivana, schaumgeboren
    Die Markies verließ um fünf Uhr das Haus, um fünf Uhr morgens wohlgemerkt, denn ihr Flug nach Berlin ging um halb sieben. Wie stets brach sie ein wenig zu früh auf, denn sie war eine überlegene Planerin ihres Lebens und bezog auch eigene Schwächen in ihre Berechnungen mit ein. Dazu gehörte, bei Aufbrüchen immer etwas Wichtiges zu vergessen, das Taxi umkehren lassen zu müssen und noch einmal in die Wohnung zurückzukehren. Ihre Angestellten, die jungen Mädchen in der Agentur, wußten genau, wann wirklich Ruhe einkehrte, eben nicht, wenn Frau Markies mit Gepäck ins Taxi eingestiegen war, sondern etwa zwanzig Minuten später, nachdem sie noch einmal in der Tür gestanden hatte und in Eile, aber zielstrebig einen Schriftwechsel heraussuchen ließ. Danach war es, als falle ein eiserner Reifen von den Mädchen ab, der sie bis dahin spannungsvoll aneinandergeschmiedet hielt; es war nicht so, daß jede Arbeit gleich aufhörte, nur der Galeerentakt der gemeinsamen Ruderschläge wurde nicht mehr vorgegeben, und so driftete das Büro unmerklich auseinander, bis schließlich alle Mädchen in ihre privaten Telephonate versunken waren und die Vorgänge auf den Bildschirmen nur noch mit geschickt gesetztem Fingertipp am Laufen hielten, spielerisch, wie man die Kugel eines Flipperautomaten in Bewegung hält.
    Auch in diesen trüben Morgenstunden kehrte Frau Markies noch einmal um, ohne besorgt sein zu müssen, sie könne außer Atem geraten. Ihre Stirn zeigte keine Schweißtropfen, das nußbraune Haar lockte sich lässig, wie von mildem Sommerwind durchpustet, der japanische weite Mantel aus fein plissierter schwarzer Seide umwehte sie mit dem appetitlichen Rascheln von zerknülltem Butterbrotpapier. Aber dann trat um so tiefere Ruhe ein, als die Bürostunden erst gegen zehn Uhr begannen. Die weißen Lilien in den Vasen blühten dem Sonnenaufgang entgegen. Im Entreé hing noch eine Ahnung des Parfums von Frau Markies. Sie bevorzugte sehr schwere Düfte, die auch gut zu ihr paßten, denn sie selbst begann schwer zu werden und entsprach vollständig dem Anspruch von Fülle und Sattheit und Sommernachtwärme solcher Parfums, obwohl sie sich beim Essen und Trinken durchaus ein Regime auferlegte.
    Jetzt atmete die Wohnung, die sich ans Büro anschloß, erst einmal aus. Die Wohnung kam gleichsam mit sich ins reine, zumal Frau Markies auch bei solchen frühen Aufbrüchen keine Unordnung zurückließ. Sogar das ungemachte Bett war nicht zerwühlt, sondern verriet nur am Abdruck des Kissens, daß ihr Kopf darauf geruht hatte. Das Licht drang weich in die Räume vor, erst grau, dann weiß, dann rosig, dann wieder weiß werdend, zur Tagesobjektivität vorstoßend, das Stimmungshafte hinter sich lassend.
    Ein Schlüssel drehte sich im Schloß, dann ein zweiter, dann ein dritter. Frau Markies’ Wohnungstür war armiert wie ein Gefängnistor. Sie genoß das Schnurren und Schnappen der Schlösser und das schwere Zufallen des Türflügels als akustischen Beweis ihrer Sicherheit. Es war die Putzfrau Ivana. Sie ließ die Türflügel aufschwingen, planmäßig um acht Uhr. Die junge Frau trat ein und rief, während sie in die noch nicht aufgelöste Parfumwolke, die geistige Gegenwart von Inge Markies hineinschnupperte: »Hallo, ich bin’s«, so hatte sich das eingespielt. Frau Markies verabscheute es, wenn unversehens jemand vor ihr stand. Sie war schreckhaft und konnte dann für einen Augenblick die Beherrschung verlieren. Als keine Antwort kam, drückte Ivana die Mobilnummer von Frau Markies. Da meldete sich auch schon deren warm-dunkle, dabei scharf artikulierende Stimme wie aus großer Nähe. Sie war inzwischen aber in Berlin gelandet und saß schon im Taxi. Ivana hatte mit Frau Markies ihre Erfahrungen. Eine davon war, daß die Dame selbst es liebte, unversehens im Zimmer zu stehen. Das jedenfalls wäre in der nächsten Stunde wohl ausgeschlossen, obwohl Ivana ihrer Arbeitgeberin vieles zutraute und für möglich hielt, daß sie mit geheimen Mächten im Bunde stehe; diesen Verdacht hatte Frau Markies zu nähren verstanden, indem sie auch Ivana, nicht nur ihre Kunden und die Mädchen im Büro, gern belehrte, sie verfüge über »das Herrschaftswissen«, und Ivana hatte bisher keinen Anlaß, daran zu zweifeln. Ein starker Herrschaftswillen ruft bei den Beherrschten freilich auch die Neugier hervor, dessen Grenzen auszuerproben. Wer herrschen will, muß anwesend sein.
    Ivana ging in das große helle
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