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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest
Autoren: Martin Mosebach
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Kopf das Haar im Nacken zusammenzufassen. Sie nahm ein Gummiband, um die Locken am Hinabfallen ins Wasser zu hindern. Es ist oft beklagt worden: In den schönsten Momenten ist niemals ein Maler oder Photograph zur Stelle. Und es gab in ihrem Leben auch sonst keinen Zusammenhang, in dem ein anderer sie genießerisch hätte betrachten können. Sie lebte nicht mehr wie ihre Mutter, die möglicherweise niemand je nackt gesehen hatte, die es auch beim Wechseln der Kleider stets verstand, im Ablegen des einen Stückes das andere schon halb angelegt zu haben, die übrigens bis heute einen starken Duft nach frischem Basilikum an sich hatte, ohne daß Ivana hätte sagen können, ob die Mutter sich wohl mit gequetschten Blättern dieses um das Haus herum reichlich wachsenden Krauts einrieb. Ein Badezimmer hatte es ohnehin zu Hause nicht gegeben. Im Sommer übergoß man sich mit Wasser, hinter einem Mäuerchen im Hof, wo auch die Pumpe stand, Männer und Frauen getrennt natürlich, im Winter bei hohem Schnee stand der Waschzuber in der Küche. Inzwischen hatte Ivana für den Einbau eines Badezimmers im Elternhaus gesorgt, ein Duschbad mit Kacheln aus Deutschland, auf kleinem Raum freilich und nicht für voyeuristische Feste geeignet. Und die fanden auch in dem Souterrainzimmerchen, in dem sie in Frankfurt mit ihrem Mann wohnte, nicht statt – wann auch? Wenn sie beide erschöpft von der Arbeit kamen, hätte auch einem feuriger verliebten Paar sehr selten der Sinn nach Liebesinszenierungen gestanden. Aber man sollte die Nüchternheit von Ivanas Eheleben nicht auf die Umstände ihrer Frankfurter Arbeitslast schieben. Sie war nicht die Frau, die Freude daran gehabt hätte, sich irgendeinem Mann zu zeigen, gar verliebte Stimmung, erotische Spannung zu erzeugen. Sie kannte Frauen, die so etwas machten, aber sie schüttelte darüber verständnislos den Kopf, wie es ein zehnjähriger Junge getan hätte: den bemerkenswert großen, nicht eigentlich weiblichen, vielleicht nicht einmal lebendig menschlich wirkenden Kopf. Die hellenische Antike hat ein Schönheitsideal begründet, das in der Natur kaum anzutreffen ist und, wenn es sich dann doch einmal verwirklicht, gar nicht unbedingt schön erscheint. Die berühmte griechische Nase gehört dazu, die den Sattel gerade aus der Stirn wie die Schiene eines Gladiatorenhelms hervorgehen läßt, die weit auseinanderstehenden großen Augen, das muschelförmige große Kinn, auf dem das Gesicht wie auf einem stabilen Fundament ruht. Ein Maskengesicht hatte Ivana, welche Wirkung sich noch dadurch verstärkte, daß sie zu Starre und Finsternis neigte, zum Grübeln über erlittenes Unrecht und zur Verweigerung, das werbende Lächeln ihres Gegenübers zu erwidern.
    In der duftenden öligen Wärme und im Spiel der Sonnenflecken löste sich diese Starre. Ivana lächelte. Sie lächelte sogar lieblich, ohne unmittelbaren Anlaß. Dies Lächeln gehörte nicht zu einem durch den Kopf ziehenden kleinen Gedanken, es wurde gleichsam von der ganzen Hautoberfläche hervorgebracht. Eine andere Möglichkeit zu sein tat sich auf. Sie plätscherte in der Wärme. Sie öffnete und schloß die Schenkel. Schaumfetzen bedeckten die aus dem Wasser ragenden Knie, das Wasser schwappte gegen den Badewannenrand. Kurz stellte sie sich vor, wie lustig es wäre, hier eine regelrechte Überschwemmung anzurichten, das Wasser über den Rand treten zu sehen, die Schwelle des Badezimmers überflutend, ein nicht mehr geheimzuhaltendes Bad zu nehmen, sondern im Zentrum eines zerstörerischen Wasserfalls zu sitzen. Diese nach parfümierten Kerzen, Tee und Lavendel duftende Wohnung mit den Lilienstaubwölkchen, die könnte man ganz einfach davonschwimmen lassen.
    Es war nicht Ivanas Art, ihre Kunden schädigen zu wollen, das muß der Vorstellung dieses morgendlichen Bades unbedingt hinzugefügt werden. Dies Bad gehörte in ihre Spezialbeziehung zu Frau Markies. Woanders hätte Ivana sich nicht ohne weiteres in die Wanne gelegt, wenn man von Wereschnikows Wohnung absieht, aus verwandten Gründen nebenbei. Inge Markies hatte das Zeug zur echten Befehlshaberin. Sie hatte Ivana augenblicklich durch ihre Sicherheit, Genauigkeit und Distanziertheit beeindruckt. Es gab nie einen Zweifel, was sie erwartete. Sie prüfte mit einem Blick das Ergebnis, es gab mit ihr keine Debatten und keinen Raum für Mißverständnisse. Ivana war ein Homo hierarchicus, von ihrer grundsätzlich anarchischen Disposition einmal abgesehen; wo sie Führungskraft
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