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Ein dunkler Ort

Ein dunkler Ort

Titel: Ein dunkler Ort
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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EINS
    Seit Tagesanbruch waren sie schon unterwegs, doch die letzten beiden Stunden – nachdem sie vom Highway auf die gewundene Straße durch das Hügelland abgebogen waren – hatte Kit Gordon geschlafen.
    Nicht tief, ein Teil ihres Bewusstseins war wach geblieben, sie hatte die Kurven wahrgenommen und die schwache Septembersonne, die schräg durchs Fenster fiel und ihr das Haar wärmte, und die beiden Stimmen von den vorderen Sitzen: hell und trällernd die ihrer Mutter, tief und etwas monoton die von Dan.
    Kit hatte die Augen geschlossen, ihr Kopf ruhte an der Rückenlehne. So musste sie sich nicht am Gespräch beteiligen. Ich werde nicht mit ihnen reden, sagte sie sich. Ich habe ihnen nichts zu sagen.
    Als das Auto hielt, konnte sie dem Drang, die Augen zu öffnen, aber nicht widerstehen. Ihre Mutter hatte sich zu ihr umgedreht und sah sie an.
    »Hi, Schlafmütze«, sagte Mrs Rolland. »Dir ist eine Menge schöne Landschaft entgangen: Wiesen, Bäche und Hügellandschaften. Es war wie im Bilderbuch.«
    »Ach«, sagte Kit gleichgültig. Sie richtete sich im Sitz auf und schaute kurz aus dem Fenster. »Halten wir zum Tanken?«
    »Ja, und um nach dem Weg zu fragen«, sagte Dan Rolland. »Laut Karte muss das hier Blackwood Village sein, obwohl ich nirgendwo ein Schild entdecken kann. Jetzt kann es nicht mehr weit sein bis zur Schule. In Madame Durets Brief stand, dass sie nur etwa zehn Meilen vor der Stadt liegt.«
    Die Tankstelle war klein, es gab nur eine Zapfsäule und einen Kassierer, den man durch die geöffnete Tür sehen konnte. Er saß mit den Füßen auf der Kasse da und las in einer Zeitschrift. Kit sah die schmale Straße entlang, an der ein Laden neben dem anderen lag: ein Lebensmittelgeschäft, eine Apotheke, ein Eisenwarenhandel und ein Laden mit allerlei trendigem Trödel in der Auslage.
    »Wir sind hier echt mitten im Nirgendwo«, sagte sie. »Es gibt nicht mal ein Kino.«
    »Ich finde es schön«, sagte Mrs Rolland. »Ich bin auch in so einer kleinen Stadt aufgewachsen, es war herrlich, kein Lärm, kein Druck, jeder kannte jeden. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas noch gibt.«
    »Wenn wir aus Europa zurück sind«, sagte Dan, »können wir uns ja vielleicht so einen Ort suchen. Zum Wohnen, meine ich.« Seine Stimme klang sanft – verlogen , dachte Kit – wie aus einer bescheuerten Fernsehserie. Aber ihre Mutter war da offenbar ganz anderer Ansicht. Sie lächelte, legte den Kopf ein wenig schräg und wirkte beinahe wie ein junges Mädchen, trotz der Falten um die Augen und der feinen Silberfäden im dunklen Haar.
    »Wirklich?«, sagte sie. »Aber, Dan, deine Arbeit …«
    »In kleinen Städten werden auch Anwälte gebraucht. Oder ich kehre dem Juristenleben den Rücken und mache in Blackwood Village ein Kino auf.«
    Sie lachten beide. Kit wandte den Kopf ab.
    »Mitten im Nirgendwo«, murmelte sie wieder. »Ein ganzes Jahr hier. Das halte ich nicht aus.«
    »Da mach dir nur keine Sorgen.« Das Sanfte war aus Dans Stimme verschwunden. »Ich glaube kaum, dass du oft ins Dorf kommen wirst. Dein Leben wird sich hauptsächlich auf dem Schulgelände abspielen.«
    Er hupte und der Tankstellenwärter schaute verschreckt auf, er brauchte einen Moment, bis er begriffen hatte, dass das Hupen ihm galt, aber dann legte er seine Zeitschrift auf dem Tresen ab. Er streckte sich, gähnte und stand schließlich widerwillig auf, um zu unserem Auto zu gehen.
    »Benzin, Mister? Sie können selbst zapfen und drinnen bezahlen.«
    »Mach ich«, sagte Dan, »aber ich wollte auch nach dem Weg fragen. Können Sie uns sagen, wo wir die Blackwood School für Mädchen finden?«
    »Hier in der Gegend?« Der Mann guckte erstaunt.
    »Das ist ein Internat, das von einer Madame Duret geleitet wird. Die Postadresse ist Blackwood Village, aber die Schule liegt ein ganzes Stück vor der Stadt. Früher war es mal ein Privathaus, das einem Mann namens Brewer gehört hat.«
    »Oh, das Brewer-Anwesen!« Der Mann nickte, nun wusste er Bescheid. »Na klar weiß ich, wo das ist. Ich hatte gehört, dass eine Frau aus dem Ausland das Haus gekauft hat. Im Laufe des Sommers hat sie es von Leuten hier aus der Stadt in Schuss bringen lassen, das Dach wurde repariert, das Gelände in Ordnung gebracht und so weiter. Ich glaub, sie hat Bob Cullers Tochter Natalie für die Küchenarbeit angestellt.«
    »Können Sie uns sagen, wie wir dahin kommen?«, fragte Dan geduldig.
    »Das ist ganz leicht. Folgen Sie dieser Straße durch die Stadt und dann auf
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