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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest
Autoren: Martin Mosebach
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stehe die Frau im Nebenzimmer. Ivana war, als brauche sie nur durch die Tür zu treten, um sofort mit anpacken zu können. Sie sah alles vor sich, als sei sie dabei. Aus dem gespannten Warten war jetzt eifrige Tätigkeit vieler Hände geworden. Mirkos Wahnsinnshandlung hatte alle aus ihrer Starre geholt. Zunächst fand eine Beratung statt, in der alle Anwesende, auch Frauen, zu Wort kamen: Aber schnell, ohne Geschwätz. Die Frage war einfach genug: Gehen oder bleiben? Bleiben hieß, das Haus zur Festung zu machen und den Angriff aus den muslimischen Gehöften ringsum abzuwarten. Das war aussichtslos, Selbstmord, nur der Vater, inmitten einer Nierenkolik, flehte stöhnend darum, sein Haus nicht aufzugeben. Die Mutter auf dem Stuhl hatte schon entschieden. Sie hielt Mirkos schweißnasse Hand. Anna hatte es geschafft, den zerschmetterten Oberarm mit einem Strick abzubinden. Sie drehte den Knebel so fest, daß das Blut nur noch sickerte, der Arm schlackerte leblos. Zugleich hatte sie ihrem Bruder eine Flasche Sliwowitz an die Lippen gesetzt. Er trank ein paar Schluck, gab sie wieder von sich, es rann ihm aus den Mundwinkeln, aber schließlich gelang es, ihm so viel Schnaps einzuflößen, daß er nur noch wimmerte. Ein Arzt hätte wohl festgestellt, daß er unter Schock stehe – sonst hätte er das Haus zusammengebrüllt –, aber der Arzt war weit, er war jenseits der Berge.
    Dorthin würden sie es schaffen müssen, wenn sie am Leben bleiben wollten. Was geschah mit dem Vieh? Die drei Kühe, die kleine Ziegenherde, der Hühnerhof, in dessen Mauern es gluckste und rauschte von den im Traum die kurzen Flügel regenden Hühnern? Es war an diese Lebewesen nicht mehr zu denken, es mußte jetzt schnell gehen, ein Vorsichhertreiben von Kühen war ausgeschlossen. Der Lastwagen wurde vorgefahren. Was im Haus zusammengerafft werden konnte – da nahm, ohne gemeinsamen Plan, jeder, was ihm am nützlichsten erschien –, wanderte auf die Ladefläche. Der Vater wurde auf eine Matratze gelegt, die Mutter auf ihrem Stuhl aus dem Haus und auf den Wagen gehoben.
    »Der Eisschrank!« rief Ivana ins Telephon. An den Eisschrank war gedacht. Er war schwer, drei Männer wuchteten ihn soeben aus dem Haus. Dreihundert Arbeitsstunden hatte der schwere Kasten sie gekostet. Sie trauerte diesen Stunden nicht hinterher. Solange sie sich bewegen konnte, würde sie arbeiten, Verluste waren immer mit einzurechnen, aber dieser Eisschrank war mehr, als er gekostet hatte. Er stand dafür, daß es gut und sinnvoll war, die Heimat zu verlassen. Er vertrat Ivana gleichsam zu Hause, ihre Autorität, ihr Ansehen.
    Die Schwägerin hängte ein, sie hatte Wichtigeres zu tun, und es war Ivana selbst, die sie dazu antrieb – warum konnte man nur nicht zugleich sprechen und Lasten tragen? Man konnte es nebenbei längst, aber noch nicht auf dem Mestrovic-Gehöft, auf jenem Flecken Erde, der bis jetzt noch – wie lange? – das Mestrovic-Gehöft trug. Fern war ihr, daß sie vor kurzem noch aufgeschrien hatte, als sie Herrn Breegen in Maruschas Schrank entdeckte. Unwirkliche Bilder waren das. Sie schossen ihr unwillkürlich durch den Kopf, unwillkommene Reminiszenzen eines anderen, scheinhaften Lebens. Es prallte an ihr ab, was sie sprechen hörte, als sie sich wieder unter die Gäste mischte.
    Da hatte es offenbar einen kleinen Skandal gegeben, ein Handgemenge. Eine Frau hatte mit hoher Stimme den Frieden beschworen, Umstehende waren zwischen die Feindseligen getreten. Rotzoff erklärte wegwerfend amüsiert, sein neuer Freund Tommy sei verwickelt gewesen in das Geschrei – »Der kleine arbeitsscheue Drecksack, asozial, gehört in ein Umerziehungslager, Tito-Camping, mit der Spitzhacke täglich zwölf Stunden im Steinbruch …« Manche wollten gesehen haben, wie Tomislav mit Blicken wie Dolchstiche an Breegens Revers rüttelte – Breegen vor sich herzustoßen erforderte freilich Kraft, nicht Eleganz. Andere behaupteten, Breegen habe Tomislav geohrfeigt, wieder andere sahen Wereschnikow gleichfalls brachial werden, jedenfalls mit erhobener Stimme saugrob schimpfend, solche Sachen machen den Umstehenden ja meistens großen Spaß.
    Der Streit, wer immer ihn vom Zaun gebrochen hatte, trug dazu bei, die Tendenz, die im Garten jedenfalls spürbar wurde, wo einzelne Fackeln schon verlöschten, ohne ausgetauscht zu werden, zu beschleunigen: das Abgleiten des Festes in tiefere Regionen. In der Wohnung, wo die Zigeuner-Techno-Musik die Fensterscheiben beben ließ,
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