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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest
Autoren: Martin Mosebach
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Augen und gab sich der Behandlung hin. Nicht viel später fand der Festes-Mob, der nun auch in diesen bisher ausgesparten Leerraum schwappte, die Sessel verlassen vor.
    Ivana hatte längst aufgehört zu bedienen und Gläser vollzugießen, die danach nicht immer im Schlund des Gastes landeten, sondern verschüttet wurden und umfielen. Sie wußte, daß es ihre Aufgabe war, hier auszuharren, bis der letzte Gast gegangen war, und dieser Aufgabe würde sie um jeden Preis gerecht werden. Die bloße Vorstellung, zu Hause im Souterrain neben Stipo zu liegen, ins Dunkel zu starren und an die Eltern zu denken, schreckte sie. Sie hatte einer Pflicht zu genügen. Das war auch der einzige Grund, der rechtfertigte, daß sie jetzt nicht mit den andern auf dem Lastwagen neben dem Eisschrank saß.
    Wenn überhaupt noch jemand auf dem Lastwagen saß. Sie kannte die Straße, besser, den holprigen Waldweg über den Kircuc genau. Niemand wäre in Friedenszeiten auf den Einfall gekommen, diesen Weg mit einem Lastwagen zu befahren. Warum nicht mit dem Traktor? War der Traktor vielleicht kaputt? Was sie wußte, wußten die Mutter und der Vater und die Schwäger ebensogut. Gelegentlich versuchte sie, das Mobiltelephon der Mutter zu erreichen. Das scheiterte immer, nach kurzem Tuten brach die Verbindung wieder ab. Sie hatte sich einen Stuhl in die Küche geholt. Auf diesem Stuhl saß sie nun wie eine Wartende auf dem Bahnhof. Wer hereinkam, nach Flaschen suchte und wieder abzog, den schaute sie mit dem gleichgültigen Blick an, mit dem man fremde Reisende mustert. Nach Würfelzucker wurde nicht mehr verlangt, die Leute saugten ihre Pülverchen durch die Nase. Merzingers Personal war abgezogen. Es ging auf halb fünf. Die Leute versorgten sich selbst und würden bleiben, bis alles ausgetrunken war, und das wäre dann das natürliche Ende von Rotzoffs exklusivem Fest.
    Und dann, nachdem Ivana bloß noch wie einer nervösen Angewohnheit gehorchend wieder einmal die Mobilnummer der Familie eingegeben hatte, war unversehens doch eine Verbindung da. Annas Stimme sprach vernehmlich und zunächst fast störungsfrei. Die Schwestern verständigten sich mit Stichworten, Anna in der ihr eigenen Objektivität, ohne andere innere Anteilnahme als einem unter der Sachlichkeit hervorleuchtenden Triumph, daß es so und nicht anders gekommen war, aber in Ivana wurde jedes Wort zu einem detailreichen Bild. Auf dem Lastwagen saßen sie schon längst nicht mehr. Der Lastwagen hatte die Steigung überraschend gut bewältigt, war im Gebirgsbach aber steckengeblieben, der besonders viel Wasser führte. Alles Schieben, bis zur Hüfte im kalten Wasser, alles Manövrieren, Vorwärts- und Rückwärtsrucken war vergebens. Mit jeder Drehung sanken die Reifen tiefer in das weiche Bachbett ein. Also absteigen, abladen. Zum Glück war man nicht mehr allein. Der ganze Wald schien voller Menschen, von den verstreuten Höfen und Weilern waren die Kroaten aufgebrochen, die Klugen mit Eseln und Pferden und zu Fuß, sie hatten wohl keinen Eisschrank zu retten. Die Mutter wurde auf einen fremden Handwagen geladen, der Vater mußte laufen. Der Lastwagen blieb, vom anschwellenden Gebirgsbach umrauscht, zurück. Der Eisschrank? Hatte der Eisschrank etwa Beine? Auch er blieb zurück, wie alles, was sich nicht selbst retten konnte. Das alles im Stockdunkeln, die Scheinwerfer des Lastwagens waren zunächst das einzige Licht, dann kamen eisige Lichtkegel aus den Mobiltelephonen hinzu, andere Leute hatten Taschenlampen dabei.
    Schließlich war die Anhöhe gewonnen, die einen Blick über das Tal erlaubte. Hier schied sich das Tal von Prozor, der überwiegend von Muslimen bewohnten Region, von jener Zone, die von kroatischen Milizionären kontrolliert sein sollte. Die Kleinstadt, die angeblich in deren Hand war, lag noch zwanzig Kilometer entfernt. Wenn sie die erreichten, waren sie gerettet. Es gab kein Verweilen, nur ein Vorwärtsdrängen des immer größer werdenden Stroms schwarzer Gestalten, die nur gedämpft miteinander sprachen. Leises Kinderweinen war zu hören. Eine Frau war mit vier kleinen Kindern unterwegs, eines im Kinderwagen, eines im Rucksack, eines vor die Brust gebunden, eines an der Hand.
    Nur Anna blieb etwas zurück und wandte sich noch einmal dem Tal zu. Dort, wo tief unten das Mestrovic-Gehöft liegen mußte, war nur einfach ein schwarzes Loch. Aber dann schoß eine hohe gelbrote Stichflamme auf, wie eine Zypresse, so schlank. Sie warf ein warmes, von Funkenregen
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