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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest
Autoren: Martin Mosebach
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überholte und übertrumpfte jede Art von Peinlichkeit durch Peinlichkeitsoffensiven. Wenn es niemandem gelang, peinlicher zu sein als er, war das auch ein Sieg, eine Überwältigung, der menschliche Größe nicht abgesprochen werden konnte. Andere hätten versucht, nach dem entsetzlichen Auftritt rund um Maruscha, der bei den Umstehenden wie ein Hahnenkampf beobachtet und höhnisch kommentiert worden war und in dem Wereschnikow sich zu heftigen Klagen und großen, aber das Detail nicht verschmähenden Anschuldigungen hatte hinreißen lassen, so schnell wie möglich das Feld zu räumen. Ruhmvoll war das alles für niemanden. Nur die Frau hatte immer nobler gewirkt, schutzwürdig, den Angriffen gemeiner Gesellen ausgesetzt.
    Aber Wereschnikow blieb. Er lief Inge Markies in die Arme, die ihrerseits in aufgewühlter Verfassung war. Ihr Schützling Doktor Glück war zu überhaupt nichts gut gewesen. Frühzeitig war er so betrunken, daß von einer Vorstellung »hochkarätiger« Gäste nicht die Rede sein durfte – wieder dieser Terminus aus dem Juwelenhandel, in dem Frau Markies tatsächlich ihr Berufsleben begonnen hatte, immer noch trug sie unregelmäßig geformten, selbst entworfenen Schmuck, der wirklich hochkarätig war, sie verabscheute Tinnef. Sie hatte den Hausherrn mit dem eigenen Leib abschirmen müssen und zunächst jedenfalls einen urlangweiligen Abend verbracht, denn Doktor Glück gebe nichts her, einer dieser vom Beruf ganz aufgefressenen Typen, die privat vollständig versagten. Deshalb sehe sie auch schwarz für das von ihr vorgesehene »High-Maintenance-Wife« …
    »Für das was?« Wereschnikow tat stets verwirrt, wenn andere sich spezialistisch ausdrückten.
    »Du bist ein hoffnungsloser Romantiker.« Dies war einmal nicht kritisch wie früher, sondern liebevoll nachsichtig gesprochen. Frau Markies wurde geradezu ein wenig besinnlich. Sie hätten es doch eigentlich ganz nett zusammen gehabt, was denn bloß dazwischengekommen sei? Die Antwort war beiden bekannt. Sie hieß mit einem Wort Maruscha. Und man hätte auch die Gewohnheit von Inge Markies noch erwähnen können, immer noch einmal zurückzukehren, nachdem sie das Haus verlassen hatte.
    Aber von Maruscha sollte nun nicht mehr die Rede sein, es war zu viel von ihr die Rede gewesen. Jetzt war selbst Wereschnikow am Ende seiner Kraft. Zärtlich mochte man den erschöpft-vorwurfsvoll-leidenden Blick, den er der Markies sandte, nicht nennen, aber abwehrend war er auch nicht.
    »Du mit deinen brillanten Verbindungen. Schickst mir einen kleinen akademischen Versager, der nur meine Büromädchen vögeln kann, und wunderst dich, daß deine Projekte nicht ins Laufen kommen. Dieser Kongreß, worum ging es noch gleich …«
    »Über Balkan-Fragen«, antwortete Wereschnikow. Er schien zerstreuter, als es sonst bei diesem, ihm am Herzen liegenden Gegenstand der Fall war – warum nannte er nun nicht auch das Kongreßthema im engeren Sinn? Was hielt ihn davon ab, vor Inge Markies über die Würde, die Würde des Menschen, die in allen großen Religionen und Philosophien und Weltanschauungen ihr sicheres Fundament habe, ja im Grunde die Essenz jeder geistigen Sicht auf den Menschen sei, anzusprechen – speziell natürlich über die Würde auf dem Balkan? Dieser wunderbare Plan eines solchen Kongresses aller Gutgesinnten, der wie eine kristallklare Quelle das reine Wasser hervorsprudeln ließ, das die Feuergluten Jugoslawiens zum Erlöschen brächte?
    »Es wird etwas daraus werden, nur kleiner als geplant. Das Außenministerium hat sich zurückgezogen, die UN zahlen auch nur für eine kleine streng wissenschaftliche Tagung und wollen noch mal ein Papier – Papier, Papier, die Welt erstickt in Papier. Und wer soll es schreiben? Natürlich wieder ich, in vier Sprachen, und wer trägt die Übersetzungskosten? Und dann muß ich mir auch noch Vorwürfe von Leuten anhören, denen ich helfen wollte – ich habe die Dinge ja nicht in der Hand – financial ressources are limited, so schallt es einem in dieser Welt entgegen, dabei wälzen sich die Herren mit ihren eingeflogenen Konkubinen in numidischem Reichtum …«
    Die Markies langte mit der kräftigen, sorgfältig gepflegten Hand über die hohe, breite Sesselbarriere und erreichte, indem sie sich streckte, seinen Nacken, den sie, wie es einst Gewohnheit gewesen war, mit Daumen und Zeigefinger geschickt neuralgische Punkte treffend, behutsam massierte. Und siehe da, Wereschnikow verstummte, schloß die
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