Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel
Autoren: G Pauly
Vom Netzwerk:
|5| 1.
    Warum ausgerechnet Sylt? Warum Westerland? Kann es nicht Hamburg, München oder Düsseldorf sein? Er muss verrückt geworden sein! In einer Großstadt wäre sein Plan viel leichter in die Tat umzusetzen! Aber nein, er musste sich ausgerechnet für Sylt entscheiden! Für eine Insel, von der man nicht einfach fliehen kann — hinters Steuer, auf die Autobahn, Fuß aufs Gas und weg. Und das Schlimme ist, er weiß genau, warum er es getan hat. Er kann sich nichts vormachen, alles hängt irgendwie mit Sylt zusammen. Das, was in den vergangenen vierzig Jahren geschehen ist, und erst recht das, was nun geschehen wird. Also ist es doch richtig, dass er sich für Sylt entschieden hat?
    Ja, es muss wohl so sein. Alles ist richtig. Auch die Fahrt über den Hindenburgdamm ist genau richtig für jemanden, der sich so schwer vom Festland löst wie Paul, der sich so ängstlich auf diese Insel zu bewegt wie er. Der Hindenburgdamm ist besser als eine Flugroute, sogar besser als ein Wasserweg. Die Fahrt mit dem Auto, wenn es auch auf einem Waggon steht, hinter dem Steuer, wenn auch das Lenkradschloss eingerastet ist, erscheint wohltuend normal. Und dass das Navigationssystem durchdreht und sinnlose Anweisungen gibt, amüsiert ihn. Warum sitzt er eigentlich so |6| aufrecht und steif da, als wäre er selbst und nicht der Lokführer für die sichere Fahrt nach Sylt verantwortlich? Eine lange Autofahrt hat er hinter sich. Zeit, während der halben Stunde auf dem Autozug ein Nickerchen zu halten.
    Paul tastet an der linken Seite des Fahrersitzes entlang, wo es mehrere Tasten und Hebel gibt. Fast ein Jahr besitzt er dieses Auto nun, und noch immer weiß er nicht, wie sich die Rückenlehne verstellen lässt. Erster Versuch — der Sitz schießt nach hinten, zweiter Versuch — die Sitzfläche neigt sich, dritter Versuch — die Rückenlehne schlägt ihm in den Nacken. Sie mit der gleichen Taste wieder nach hinten zu neigen, gelingt ihm erst, nachdem er versehentlich den Fensterheber betätigt hat. Der scharfe Wind greift mit langen, spitzen Fingern ins Wageninnere, nimmt sich, was er zu fassen bekommt, reißt an sich, was nicht niet- und nagelfest ist. Zum Beispiel die kleinen Notizzettel, die Paul in die Ritzen der Klimaanlage gesteckt hat. Zu blöde aber auch, dass er als Erstes in sein schütteres Haar greift, das keine Unordnung verträgt, wenn der Schein, der durch aufwändiges Föhnen erreicht worden ist, erhalten bleiben soll. Um seine Haarpracht hätte er sich später kümmern können, für einen der Notizzettel kommt diese Erkenntnis zu spät. Er wird aus dem Fenster gerissen, steht für ein paar Augenblicke auf der Spitze eines Wirbels, flattert dann aufgeregt von einem Auto zum anderen, kollidiert mit einer Antenne und erhält, nachdem er sie einmal umrundet hat, den Schwung, der ihn den Möwen nachschickt.
    Paul stöhnt auf und lehnt sich zurück. Vielleicht wird in zwei, drei Tagen alles anders sein. Möglicherweise sucht er |7| dann gerade nach dem Gedanken, den er auf dem Zettel notiert hat, oder aber es kommt auf diesen Gedanken nicht mehr an. Er blickt einer Möwe nach, die dem Sylt-Shuttle vorausfliegt, und begreift, dass er ihr folgen muss, dass es keine Rückkehr geben wird. Die Entscheidung ist gefallen. Wie oft hatte er sich geschworen, es auf keinen Fall zu tun. Niemals! Warum diesmal? Weil sich sein Leben ändern soll nach der Scheidung? Weil Uschi sowieso nicht mehr dichthalten wird?
    Pauls Augen wandern übers Watt. Wie friedlich es daliegt! Selbst jetzt, wo der frische Wind die Oberfläche aufreibt, sodass sie rau wird und Kälte spiegelt. Seinen Frieden verliert das Watt trotzdem nicht. Das Wasser steigt, mittlerweile ist ein großer See entstanden, der den Himmel aufsaugt. Ja, es liegt wohl an Sylt.
     
    Ich besitze ein Ferienhaus. Ein reetgedecktes Ferienhaus auf Sylt. Das ist doch schon was! Ich will jetzt an nichts anderes denken. Nicht an das, was ich verloren habe, sondern an das, was ich gottlob noch habe.
    Elena sagt, ich wäre dumm. »Du kannst viel mehr rausschlagen. Für das, was er dir angetan hat, muss er zahlen.«
    Was hat er mir denn angetan? Ich kann nun tun und lassen, was ich will, und mir gehört ein Haus auf Sylt! Ich finde, das reicht. Soll Georg doch glücklich damit werden, dass er eine zwanzig Jahre Jüngere neben sich hat. Soll er doch stolz darauf sein, dass eine Frau ihn attraktiv findet, die beinahe seine Tochter sein könnte! Schorsch nennt sie ihn. Und er grinst dann, als
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher